Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021
wirtschaft + weiterbildung 10_2021 37 len umzugehen. Dies ist verständlich, da wir im Beruf sachlich und inhaltlich für Aufgaben, Projekte und Organisations- gestaltung verantwortlich sind. Gefühle anzusprechen, vermeiden wir, da es un- gewohnt, zeitlich aufwendig und uns unangenehm ist. In Beratungs- und Coa- ching-Prozessen kommt man früher oder später an Gefühle heran. Das ist meist ein unbeliebtes Thema. Im Coaching höre ich dann Aussagen wie: • „Meine Gefühle klar zu beschreiben und einzuordnen, ist schwierig“ • „Meine Gefühle zu akzeptieren, ist für mich schwer.“ • „Meine Gefühle schränken mich ein und lähmen mich.“ • „Ich will andere mit meinen Gefühlen nicht belasten.“ • „Ich schäme mich für meine Gefühle.“ Gerne unterdrücken wir unsere Gefühle. Das ist kein guter Weg. Denn seit Sig- mund Freud wissen wir, unterdrückte Emotionen und Gefühle sterben nie. Sie werden lebendig begraben und kommen in stressigen Situationen wieder zum Vor- schein. Hier einige Beispiele in welchen Coaching-Situationen Gefühle ins Spiel kommen können: • Es gibt zu viele neue und schwierige Aufgaben, die den Klienten frustrieren. • Es gibt zu viele Veränderungen, die den Klienten beunruhigen - wenn zum Beispiel gerade eine große Verände- rung abgeschlossen ist und gleich die nächste Veränderung ansteht. • Es gibt Beziehungskonflikte, die den Klienten wütend oder traurig machen - wenn zum Beispiel sein Chef Konzepte von ihm als seine eigene Idee verkauft. • Es geht nicht auf Augenhöhe zu und der Klient wird respektlos behandelt – zum Beispiel wenn er bei einer Prä- sentation von einem Kollegen unterbro- chen wird. • Es gibt Meinungsverschiedenheiten und ein Kollege greift den Klienten per- sönlich an und sagt: „Typisch, dass Du schon wieder so kritisch reagierst ...“ und der Klient sich dadurch abgewertet fühlt. • Es in beruflichen (Sinn-)Krisen und bei der Überprüfung der Lebens- und Karriereplanung so weit kommt, dass sich der Klient fragt, ob das was er tut, überhaupt bedeutungsvoll ist. Was sollten nun Berufstätige in einem Coaching über das Wahrnehmen und den Umgang mit Gefühlen lernen? Unabhän- gig davon, wie die Situation des einzel- nen Klienten konkret ist, haben sich fol- gende fünf Empfehlungen bewährt: Empfehlung I: Gefühle durch Reflexion wahrnehmen lernen Häufig fragen Klienten im Coaching: „Wie kann ich meine Gefühle wahrneh- men?“ Das Erleben von Gefühlen macht sich in der Regel durch Mimik und Kör- persprache (zum Beispiel durch nervöses Spielen mit den Fingern) bemerkbar. In einem weiteren Schritt ist es wichtig, für sich Beispiele zu finden, welche Gefühle bislang immer wieder auftauchten und durch was sie ausgelöst wurden. Eine hilfreiche Technik ist es, die eigenen Ge- danken aufzuschreiben und genau zu un- tersuchen. Zum Beispiel: „Immer, wenn ich im Arbeitsprozess von anderen ge- stört werde, erinnere ich mich an Zeiten, wo ich dadurch länger im Büro bleiben musste, dann bin ich genervt und esse viel zu viel Schokolade“ oder „Immer, wenn ich an die nächste Präsentation denke, erinnere ich mich an meine Miss- erfolge, dann fühle ich mich verunsichert und lenke mich mit Computerspielen ab“. Ziel ist es, den „Emotionsmuskel“ zu trai- nieren, um die eigenen Gefühle adäquat wahrzunehmen. Zudem gilt es, sein Ge- genüber und die Umwelt einordnen zu lernen. Es geht um erste Versuche, das ei- gene Verhalten an die jeweilige Situation anzupassen und nicht immer wieder in eingefahrene Gewohnheiten zu verfallen. So wird das alltägliche Verhalten kontrol- lierbar. Empfehlung II: Emotionale Unstimmig- keiten auflösen lernen Ein Coach sollte darauf achten, ob der Klient Gefühle ausdrückt, ohne diese tatsächlich zu empfinden. Wenn er Ge- fühle vorspielt, hat das negative Konse- quenzen vor allem für sein Wohlbefinden und kommt bei seinen Gesprächspartnern nicht authentisch an. Ein entscheidender Faktor ist dabei die beobachtbare Un- stimmigkeit zwischen vorhandenen und gezeigten Gefühlen. Diese Unstimmigkei- ten sind zu bearbeiten und aufzulösen, indem der Klient lernt, seine Gefühle so auszudrücken, dass sie mit dem Erlebten übereinstimmen. Dies ist eine Vorausset- zung, damit der Klient in seiner Arbeits- beziehung zufrieden agieren kann. Empfehlung III: Gedanken von Gefühlen trennen lernen Unsere Gedanken formen unsere Gefühle. Das Gefühl ist also ein Produkt oder ein Ergebnis unserer Gedanken. Unsere Ge- Peter Kraushaar ist Senior Coach DBVC und einer der Geschäftsfüh- rer der Com Team GmbH Academy + Consulting in Ber- lin (www.comteamgroup.com). Er hilft seinen Klienten, maßgeschneiderte Lösungen zu finden und unterstützt sie im Coaching-Prozess mental und emotional. berlin@comteamgroup.com AUTOR R
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