Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021

wirtschaft + weiterbildung 10_2021 31 Ebene nicht möglich ist. Hinzu kommt: Auf die Topebene von Unternehmen ge- langen nur Personen, die ihre Excellence in der Vergangenheit schon oft bewiesen haben. Das heißt, sie verfügen über die nötige Fachkompetenz für ihre Position und die erforderliche persönliche Reife, sich selbst zu steuern und ihre Arbeit effektiv zu organisieren. Das ist auf den nachgeordneten Ebenen oft nicht der Fall. Der Reifegrad der Mitarbeiter divergiert Auf der Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene hat eine Führungskraft stets auch Mitarbeiter, die, wenn nicht einge- arbeitet, so doch an das Wahrnehmen gewisser komplexer Aufgaben erst noch herangeführt werden müssen, also einer individuellen Förderung bedürfen. Das ist, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Homeoffice arbeiten, oft nur erschwert möglich. Zudem gibt es dort, außer den Mitarbeitern, die sich selbst führen und organisieren können, auch solche, denen man ab und zu über die Schulter schauen muss. Das heißt nicht, dass sie schlechte Mitarbeiter sind, doch wenn sie im Homeoffice weitgehend alleine gelas- sen werden, können sie sich schnell zu solchen entwickeln. Erfahrene Führungs- kräfte wissen das. Deshalb haben sie ihre Mitarbeiter auch in der Vergangenheit schon abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich ge- führt. Wenn die Mitarbeiter aber einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeof- fice verbringen, fällt ihnen dies schwer. Zudem erhöht sich das Konfliktpotenzial. Das fängt bei der Frage an, wem gestatte ich als Führungskraft in welchem Um- fang ein Arbeiten zu Hause. Angenom- men eine Führungskraft sagt zu einem Mitarbeiter, der weitgehend zu Hause arbeiten möchte: „Ihr Kollege darf zwar drei Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten, aber Sie sollten maximal einen Tag dort arbeiten, weil Sie sich schlech- ter selbst führen und motivieren kön- nen.“ Dann kommt die Führungskraft schnell in Teufels Küche – egal, wie sie diese Aussage sprachlich verpackt. Oder angenommen eine Führungskraft sagt zu einem Mitarbeiter: „Bei Ihnen würde ich es begrüßen, wenn Sie weitgehend im Büro arbeiten würden, weil Sie häufig Flüchtigkeitsfehler machen und wichtige Details vergessen.“ Dann hat die Füh- rungskraft schnell einen Dauerkonflikt – egal, mit wie vielen Beispielen aus dem Arbeitsalltag sie ihre Entscheidung be- gründet. Es existiert noch keine Kultur des hybriden Arbeitens Doch nicht nur deshalb stellt das Füh- ren hybrider Teams im Betriebsalltag oft eine große Herausforderung dar. Hinzu kommt: Wenn ein großer Teil ihrer Mit- arbeiter weitgehend im Homeoffice ar- beitet, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsver- halten überdenken und neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen, die sie im Lauf der Jahre, zum Beispiel beim Delegieren von Aufgaben oder Feedback geben, entwickelt haben, über Bord wer- fen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit. Dies ist nur möglich, wenn die Unterneh- men in der Übergangsphase in das „Neue Normal“ den Führungskräften die nötige Unterstützung gewähren, weil sie hierfür zum Teil auch ein neues Selbstverständ- nis und neue Skills entwickeln müssen. Zudem müssen die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden Zusam- menarbeit in ihrer Organisation zu ver- ankern, die möglichen Folgewirkungen ihrer Entscheidungen bedenken. Hierfür ein Beispiel. Bereits heute artikulieren Führungskräfte nicht selten, dass sie den Eindruck haben, dass seit ihre Mitarbei- ter vermehrt im Homeoffice arbeiten, der Teamspirit sinkt und die Wechselbereit- schaft der Mitarbeiter steigt. Angenom- men nun ein Unternehmen stellt sich, wenn seine Mitarbeiter zu 50 Prozent zu Hause arbeiten, die logische Folgefrage: Braucht dann noch jeder Mitarbeiter sei- nen eigenen Schreibtisch im Betrieb oder können wir unsere Büroflächen um die Hälfte reduzieren? Rein rational betrachtet lautet die Ant- wort gewiss ja. Doch eng damit verbun- den ist die Frage: Wie wirkt es sich auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen aus, wenn sie keinen eige- nen Platz im Betrieb mehr haben? Sinkt dann bei vielen, außer der Lust ins Büro zu kommen, auch die Identifikation mit dem Unternehmen noch weiter? Vermut- lich ja, denn nicht alle Mitarbeiter wollen „digitale Nomaden“ sein. Viele wollen ihren angestammten, eigenen Platz im Unternehmen haben. Studie soll Antworten auf offene Fragen liefern Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wie mit diesem Befund umzuge- hen ist, gibt es – wie auf viele andere Fra- gen, die mit dem Thema virtuelle und hy- bride Zusammenarbeit verbunden sind – noch nicht ... unter anderem, weil außer den Mitarbeitern auch die Geschäftsmo- delle der Unternehmen und somit auch ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen die Lösungen vermut- lich sehr individuell sein. Diese gilt es im Trial-and-Error-Verfahren zu entwickeln. Barbara Liebermeister Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeit- alter (IFIDZ), Frankfurt. Die Vortrags- rednerin sowie Managementberaterin ist auch Autorin des Buchs „Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet“. Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter IFIDZ Hamburger Allee 26-28 60486 Frankfurt am Main Tel. +49(0)69 719130965 www.ifidz.de AUTORIN „ Lösungen sind individuell und oft nur durch Versuch und Irrtum zu finden.“ Barbara Liebermeister

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