Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021

wirtschaft + weiterbildung 10_2021 23 „Das wird eine Riesenherausforderung“ Ihr neues Buch über Deutschlands mit- telständische Weltmarktführer enthält durchaus auch ein paar pessimistische Töne. Welche Gefahren sehen Sie? Prof. Dr. Hermann Simon: Es gibt zwei Gr nde, weshalb ich weniger optimistisch in die Zukunft blicke als in fr heren Publika- tionen. Immer mehr chinesische Unterneh- men investieren massiv in die Forschung und machen so dem deutschen Mittelstand mit Innovationen verschärft Konkurrenz. Der zweite Grund ist, dass einige deutsche Weltmarktf hrer doch sehr stark in unter- gehenden Branchen, den sogenannten Sunset Industries, aktiv sind. Vielen Zuliefe- rern der Automobilindustrie wird die Elek- tromobilität die Geschäftsgrundlage ent- ziehen. Wie viele die Kurve kriegen werden und ein neues Geschäftsfeld finden, weiß ich nicht. Sie schreiben, hohe Investitionen in die betriebliche Weiterbildung seien jetzt unverzichtbar ... Simon: Einige Unternehmen sollten sich schnell von der Verbrennungstechnologie verabschieden und auf andere Produkte umsteigen. Die bestehenden Mitarbeitenden m ssen umgeschult werden, weil der Arbeitsmarkt andere Fachkräfte einfach nicht hergibt. Das erfordert hohe Inve- stitionen in die betriebliche Weiterbildung. Diese Investiti- onen sind f r mich genauso wichtig wie Investitionen in For- schung und Entwicklung. Es wird sich noch zeigen m ssen, wie man Weiterbildung und Umschulung im Mittelstand organisieren kann. Das k nnte im Betrieb organisiert wer- den, aber auch durch den Staat mit einer neuen Art von Berufsschulen. Das wird eine Riesenherausforderung. Eine weitere Herausforderung ist die Digitalisierung. Da geht es m glicherweise auch darum, berbetriebliche Ausbildungs- systeme einzurichten. Ein echter Engpass, den ich sehe, besteht darin, dass es nicht genug Lehrkräfte geben wird, die das Thema Digitalisierung vermitteln k nnen. Würden Sie den Berufstätigen zutrauen, dass sie sich das Wissen um die Digitalisierung selbst beibringen? Simon: Nicht jeder kann sich alles selbst beibringen. Mit moderner Software kann man sich sehr viel selbst bei- Interview. Chinesische Unternehmen gelten als digital sehr kompetente Wettbewerber. In seinem neuen Hidden-Champions-Buch fordert Hermann Simon vom deutschen Mittelstand deshalb hohe Investitionen in die betriebliche Weiterbildung, um bei der Digitalisierung und beim Umstieg auf neue Technologien nicht abgehängt zu werden. bringen, aber wenn es komplizierter wird, dann braucht man schon den Experten, der einem die wirklich wichtigen Details individuell vermittelt. Ein Beispiel: Es macht mir regelrecht Angst, dass ich viele Dinge zum Thema Blockchain und Bitcoin nicht verstehe. Ich will sie verstehen, aber ein 50-jähriger Manager muss (!) sie ver- stehen. Ich habe mir Experten als Lehrer gesucht und sie gefragt: Was genau ist bei der Erschaffung des ersten Bitcoin pas- siert? Ein Manager braucht nicht selbst programmieren zu k nnen, aber er muss zum Beispiel wissen, dass es Smart Con- tracts gibt, digitale Verträge, die auf der Blockchain-Technologie basieren und ganz spezifische Vorteile haben. Meines Erach- tens sollten sich zehn bis 20 Prozent eines modernen Gene- ral Management Programms mit der Blockchain-Technolo- gie und ihren Auswirkungen befassen. Frage: Werden Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen und Ihres Weitblicks oft von Eigentümern oder Geschäftsführern als Coach engagiert? Simon: Ich wurde oft gefragt, ob ich nicht coachen wolle. Ich habe immer abgesagt. Mir liegt diese Rolle nicht. Ich pers nlich habe auch nie einen Coach gehabt. Ich kann mir nicht vorstellen, mit einem Coach zusammen nachzuden- ken, was f r mich gut wäre. Jeder muss selbst entscheiden, ob er einen Coach haben will. Als ich 1984 in den USA als Gastprofessor an der Stanford University lehrte, hatte dort jeder seinen Psychiater. F r jemanden wie mich, der auf einem Bauernhof in der Eifel aufwuchs, war das exotisch. Eindringlicher denn je empfehlen Sie Mittelständlern, an die Börse zu gehen ... Simon: Wenn sich der deutsche Mittelstand ber die B rse finanzieren w rde, k nnte er mehr in Forschung investieren und schneller wachsen. Das wäre in der jetzigen technolo- gischen Umbruchphase sehr wichtig, damit man nicht von jemandem berholt wird, der einfach mehr Kapital einsam- meln konnte. Aber f r viele Unternehmerfamilien ist der B rsengang leider ein Tabuthema. Interview: Martin Pichler Prof. Dr. Hermann Simon. Manager sollten die Block- chain-Technologie verstehen. Foto: Schafgans dgph

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