Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021
wirtschaft + weiterbildung 10_2021 17 der Fall ist, fangen Menschen an, über Motivation zu reden und höhere Gehälter zu fordern. Es gibt natürlich Ausnahmen. Wenn Beschäftigte den Eindruck haben, dass sie weit unter ihrem Marktwert bezahlt werden, müssen Unternehmen sich bewegen, dann nützt ihnen auch die passende Aufgabe nichts. Der Marktwert allein ist aber oft kein gutes Maß für die Wertigkeit von Tätigkeiten – zum Beispiel in der Pflege. Müsste man darüber nicht stärker diskutieren, anstatt das Geld zu vergessen? Sprenger: Geld ist natürlich wichtig. In der Bezahlung arti- kuliert sich die Wertschätzung der Tauschpartner. Zudem hat Geld eine Hebelwirkung für die Lebensqualität der Men- schen. Deshalb ist es schon eine entscheidende Frage, ob ich in meinem Job leicht oder schwer ersetzbar bin. Das wollen die meisten Menschen nicht hören, die fordern, dass eine Kran- kenschwester mehr Geld verdienen sollte. Wo doch ein Roger Federer nur Bälle über das Netz jagt. Aber ein Roger Federer steigert die Lebensqualität von zigtausend Menschen und die Krankenschwestern eben nur von wenigen. Wer vielen Men- schen dient, wird reich. Wer wenigen dient, bleibt arm. Aus diesem Mechanismus kommen wir nie raus. Lassen Sie uns noch über einen weiteren Trend in Sachen Motivation sprechen: Unternehmen nutzen inzwischen häufig sogenannte Spot-Boni. Vorgesetzte können einen überra- schenden, individuellen Bonus an Mitarbeitende für besondere Leistung vergeben. Was halten Sie davon? Sprenger: Das ändert nichts am Prinzip. Jede Prämie wird zur Rente. Menschen erwarten dann in einer vergleichbaren Si- tuation erneut diese Form der Anerkennung. Bleibt sie aus, hat das einen negativen Effekt auf Mo- tivation. Hinzu kommt: Man sendet auf symbolischer Kommunikationsebene die Botschaft, „Du, Mitarbeiter, arbeitest für mich, Chef“. Die Vorgesetzten dür- fen also ein Zuckerchen vergeben. Wenn man jedoch Unternehmen als Kooperationsarena versteht, sollte man immer deutlich machen, dass wir Leistungspartner sind unabhängig von Hierarchie und Führungsverantwortung. Also eine Arbeitsgemeinschaft sind in wechselseitiger Abhän- gigkeit. Deshalb: Finger weg von Spot-Boni! Sie sagen aber doch, dass es die Aufgabe von Führungs- kräften sei, Leistung zu bewerten. Widerspricht das nicht dem Grundsatz von Kooperation, wenn Führungskräfte die Bewertungshoheit haben? Sprenger: Die traditionelle Zuordnung Vorgesetzte und Mit- arbeiter beginnt zwar sich aufzulösen. Aber wenn wir mal von diesem klassischen Modell ausgehen, dann müssen die beiden Parteien abstecken, was sie unter Leistung oder Erfolg verstehen. Das ist nicht gesetzt, sondern beide Seiten haben ihren Anteil, das auszuhandeln. Ob Führungskräfte dabei die Interpretationsmonopolisten bleiben oder ob zunehmend Kol- legen, Kunden oder Beschäftigte selbst auch eine Deutungsho- heit haben, das wird sich zeigen. Vermutlich wird es Bereiche geben, wo das heroische Management nach wie vor dominiert, und andere, wo sich das verschleift. Insgesamt scheinen Unternehmen in Bezug auf die Motivation der Beschäftigten in den letzten 30 Jahren kaum dazugelernt zu haben. Wie erklären Sie sich das? Sprenger: Ich berate zwar viele Unternehmen, erziele aber beim Thema Motivierung und Vergütungssysteme vor allem in KMUs Wirkung. Insbesondere Familienunternehmen lesen gerne mein Buch „Das anständige Unternehmen“ und möchten sich in diese Richtung entwickeln. Großunternehmen hingegen sind Gefangene von dem ganzen Management-Firlefanz, der gerade in Mode ist. Wenn sie einen variablen Vergütungsbe- standteil haben, geht es meist nur darum, damit die Entgelt- summe insgesamt atmen zu lassen. Was nicht blöd ist, wenn man sich von individuellen Leistungskomponenten verab- schiedet und den variablen Anteil für alle je nach Gesamter- gebnis gleichermaßen atmen lässt, anstatt reflexhaft Leute zu entlassen. Aber abgesehen davon brechen Konzerne nur rhe- torisch zu neuen Ufern auf. Das Problem ist doch: Gänse vo- tieren nicht für Osterfeste. Es ist furchtbar schwer, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn sein Einkommen davon abhängt, es nicht zu verstehen. Deshalb hält man lieber die Steuerungs- und Kontrollillusion aufrecht. Was motiviert Sie denn persönlich in Ihrem Job? Sprenger: Ich habe mir die Frage nie gestellt. Die ehrlichste Antwort ist vielleicht die Gegenfrage: Was soll ich sonst tun? Ich stehe morgens auf, weil der Wecker klingelt. Ich frage nicht, ob ich ein gelungenes Leben lebe, ob ich glücklich bin. Sondern ich mache das einfach, weil ich mein Leben irgend- wie strukturieren muss. Manchmal erlebe ich das als sinn- voll, manchmal nicht. Mein Job macht auch nicht immer nur Freude, es ist ein „mixed bag“. So führe ich Zeit meines Lebens eine denkende und schreibende Existenz. Und ich bleibe dabei, weil es mir damit nicht schlecht genug geht. Das ist also Ihr Erfolgsgeheimnis, wie man 30 Jahre lang die Motivation hochhält, Unternehmen beim Thema Führung und Veränderung zu beraten? Sprenger: Das ist zumindest ein wesentlicher Teil davon. Als ich damals als Unternehmensberater anfing, war es anders. Da war ich zornig angesichts des Menschenbildes, das sich in der Motivierung von Erwachsenen artikuliert. Menschen als Reiz-Reaktions-Automaten anzuschauen war für mich völlig inakzeptabel. Dieser Zorn ist nicht verraucht, aber ein biss- chen altersdünner geworden. Aber es bleibt dabei: Wir haben im Unternehmen weder einen Erziehungsauftrag noch einen Therapievertrag. Interview: Stefanie Hornung „ Ich frage mich nicht, ob ich ein gelungenes Leben lebe und ob ich glücklich bin.“ Reinhard K. Sprenger
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