Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021

wirtschaft + weiterbildung 10_2021 15 In einer Sonderausgabe von „Mythos Motivation“ zum 30. Jubiläum haben Sie ein kurzes Kapitel zum Thema „Nudging“ hinzugefügt. Sie halten nicht viel davon. Warum? Sprenger: Wenn man möchte, dass Menschen tun, was man selbst für richtig hält, dann gibt es im Grunde drei Möglich- keiten: Man kann sie zwingen, man kann sie überzeugen, oder man kann sie anreizen. Verbote oder Zwang lehnen viele ab – und diese Mittel sind auch nicht angebracht, wenn wir Verantwortung erhalten wollen, die aus der Freiheit resultiert. Aber auch die Überzeugungsmethode ist schwierig, denn sie suggeriert ja, dass es Grund für Misstrauen gibt und man des- halb dafür werben muss. Dieses Problem haben auch Anreize. Unter den Anreizen kommt das Nudging jedoch so freundlich und positiv daher. Nudging lässt Menschen aber doch die Freiheit, sich zu entscheiden. Man macht es ihnen nur einfacher, ein präferiertes Verhalten zu wählen. Sprenger: Ja, aber das ist das gleiche Motto, nach dem viele Menschen ihre Kinder erziehen oder ihre Vierbeiner abrichten: Tue dies, dann bekommst Du das. Und das hat Spätfolgen, nämlich dass Menschen nicht mehr dies tun, weil sie dies tun wollen. Sondern dies tun, weil sie das dafür bekommen. Im Ergebnis ist das nichts anderes als eine strukturelle Sinnzer- störung. Man respektiert die persönliche Sinngebung dieser Menschen nicht, sondern versucht, ihren Sinn des Handelns zu unterlaufen, indem man einen Reiz setzt. Ich halte das für respektlos. Man hält die Menschen, die anderer Meinung sind, für halb-rational oder gar irrational – man blickt auf sie wie auf Kinder, die nicht wissen, was gut für sie ist. Wenn wir vom Thema Impfen sprechen, heißt das dann: Man bekommt eine Bratwurst als positiven Anreiz – das ist würdelos. Mit Nudging degradiert man Menschen zu einem Reiz-Reaktions- Automaten. Menschen sind zwar frei, sich für etwas zu ent- scheiden, aber sie haben einen Nachteil, wenn sie es nicht tun. Darum spielen das viele mit. Ohne Cash läuft dann nichts mehr. Ein Elektroauto kaufen, weil ich es für sinnvoll halte? Nein, Hauptsache dabei springt eine Prämie heraus. So verbie- gen wir das naturgegebene, sinnbezogene Verhalten. Wir tun nicht mehr, was wir richtig finden, sondern was belohnt wird. Gibt es weitere Beispiele? Sprenger: Was systematische Sinnzerstörung anrichtet, haben wir schon in der Finanzkrise 2007 und 2008 gesehen: Mit der Verheißung der „Nation of Homeowners“ in den USA plante man ja Gutes. Dafür köderte die amerikanische Politik mit Boni erst die Notenbank und dann die Notenbank die Geschäfts- bank und die Geschäftsbank ihre Kundenberater. Letztlich hat die Zeche der Steuerzahler bezahlt. Oder denken Sie an Kolum- bien, wo Anfang der Nullerjahre Prämien auf die Köpfe von Guerilleros dazu führten, dass 6.500 kolumbianische Zivilisten getötet wurden, die sogenannten „Falsos Positivos“. Oder bei Buchtipp. Reinhard K. Sprenger: Mythos Motiva- tion. Wege aus einer Sack- gasse, Campus, Frankfurt 2021, 323 Seiten, 18 Euro R

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==