Wirtschaft und Weiterbildung 11/2021

menschen 14 wirtschaft + weiterbildung 10_2021 30 JAHRE „MYTHOS MOTIVATION“. Unternehmen hätten weder Erziehungsauftrag noch Therapievertrag, betont der Philosoph und Unternehmensberater Reinhard K. Sprenger. Schon vor 30 Jahren brandmarkte er in seinem Buch „Mythos Motivation“ die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Beschäftigten versuchten zu erziehen und sie dabei zu „Reiz-Reaktionsautomaten“ degradierten. Kürzlich jährte sich das Erscheinen Ihres Bestsellers „Mythos Motivation“ zum 30. Mal. Erklären Sie doch noch einmal: Warum ist Motivation aus Ihrer Sicht ein Mythos? Dr. Reinhard K. Sprenger: Mit dem Begriff Motivation verbindet man im Arbeitskontext etwas Positives, Wichtiges und Steiger- bares. Und durch diese Steigerung soll mehr Leistung heraus- kommen. Da bin ich skeptisch. Denn für die Leistungsentfal- tung sind der Zusammenklang von drei Leistungsdimensionen nötig: die Leistungsbereitschaft, die Leistungsfähigkeit und die Leistungsmöglichkeit. Dass Menschen die passenden Rahmen- bedingungen und das Talent haben, ist viel wichtiger als die Leistungsbereitschaft, die eng mit dem Begriff Motivation ver- knüpft ist. Wenn ich dann noch sehe, wie kurzfristig manche Motivationsfeuerwerke angelegt sind, bezweifle ich stark, ob diese für die Zukunftsfähigkeit von Menschen und Organisati- onen überhaupt eine wirklich relevante Größe sind. Das heißt, Sie halten das Thema Motivation für total überschätzt? Sprenger: So massiv überschätzt, dass es geradezu ein Ablen- kungsmanöver zu sein scheint, um wesentliche Dinge in Un- ternehmen nicht anzuschauen, beispielweise die strukturelle Kundenfeindschaft. Das Fatale ist: Man achtet nicht darauf, was die Motivation von Menschen teils sehr nachhaltig zer- stört: unrealistische Rekrutierung, schlechtes Führungsverhal- ten, organisatorische Schieflagen. Viele Unternehmen blenden „ Yogakurse anzubieten, ist übergriffig“ konkrete Schwierigkeiten, die mit einer Aufgabe verbunden sind, einfach aus. Das Image eines Unternehmens kann durch Werbung im öffentlichen Meinungsklima zwar attraktiv er- scheinen. Doch diese Makroebene greift beim Thema Motiva- tion zu kurz. Hier zählt die Mikroebene, also die Beziehungen am Arbeitsplatz. Zum Beispiel das Gefühl, gebraucht zu wer- den, dass es auf mich ankommt. Sie halten die ganzen Mechanismen, die Unternehmen anwenden, um vermeintlich zu motivieren – sei es Lob, Benefits oder Boni – also für wirkungslos? Sprenger: Ja, diese Instrumente demotivieren noch zusätzlich. Wenn die Rahmenbedingungen identisch bleiben, aber die Be- schäftigten verändertes Verhalten und größere Motivation zei- gen sollen, kann das sogar ein Zynismus-Generator sein. Kann man Menschen überhaupt von außen zu etwas bewegen, beispielsweise durch Vorbilder oder Storytelling? Sprenger: Man kann Menschen schon bewegen. Die Frage ist aber, wie nachhaltig das ist. Strohfeuer und Hurra-Begei- sterungsstürme sind schnell verraucht, denn man kann nicht jeden Tag mit der olympischen Fackel zum Job laufen. Was wir brauchen ist eine beständige, belastbare Motivation. Wer, wie gesagt, die eigene Arbeit als sinnvoll erlebt, nimmt in Kauf, dass manche Dinge im Joballtag – beispielsweise im Umgang mit Kollegen – vielleicht nicht ganz so ideal sind. Foto: www.sprenger.com/media Dr. Reinhard K. Sprenger. Er gilt als einer der profiliertesten Führungs- experten Deutschlands. Neben „Mythos Motivation“ schrieb er Bücher wie „Das Prinzip Selbstver- antwortung“, „Radikal führen“ und „Das anständige Unternehmen“.

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