Wirtschaft und Weiterbildung 5/2021

grundls grundgesetz Boris Grundl 56 wirtschaft + weiterbildung 05_2021 Wie sieht künftig Leadership aus? Welchen Sinn könnte Führung in Zukunft noch haben? Natürlich prägt der Zeitgeist unseren Blick auf das Thema. In sinnlosen Kriegen wurden früher Menschen aufgrund des Machtstrebens Einzelner verführt. Deswegen reagieren wir inzwischen sehr kritisch, sobald eine Person zu viel Macht anhäuft. Das ist auch gut so. Trotzdem ging es nach dem Zweiten Weltkrieg vom Industriezeitalter über das Wissens- zeitalter bis in die Ära der Digitalisierung immer wie- der um charismatische Führungspersönlichkeiten. Diese Personenzentrierung hält sich bis heute hartnäckig in vielen Köpfen. Noch immer geht es um den einen Menschen, der etwas gut kann, dem vieles gelingt, der die Lage im Griff hat – ob als Regierungschefin wie Angela Merkel, als Unter- nehmer wie Steve Jobs oder als Bundestrainer wie Joachim Löw. Obwohl wir wissen, dass viele andere kompetente Leute um diese Leuchttürme für Erfolge (und Misserfolge) mitverantwortlich sind. Und ja, oft gehört auch Glück dazu. Das alles wissen wir, trotzdem projizieren wir Erfolge und Misserfolge immer wieder auf einzelne Personen. Diese Sichtweise bestätigt die Tatsache, dass es ein nationales Drama wird, wenn sich eine Regierungschefin öffentlich für einen Fehler ent- schuldigt. Oder wenn ein Bundestrainer gegen Spa- nien 6:0 verliert. Dabei ist es so einfach: „Entschul- digung, ich habe mich geirrt. Es ist etwas anderes eingetreten, als ich beabsichtigt habe. Ich lerne aus diesem Fehler und gebe weiter mein Bestes.“ Das ist das Natürlichste der Welt. Es ist erstaunlich, wie oft Menschen ihr Bewusstsein auf die Motive und Verfehlungen anderer ausrichten. Statt diese Kraft zu nutzen, sich ihrer selbst bewusster zu werden. Jetzt dürfte auch klar sein, worauf sich die Zukunft der menschlichen Entwicklung ausrichten sollte: weniger Fremderkenntnis, mehr Selbsterkenntnis – und das Bewusstsein für eine gesunde Selbstver- antwortungsqualität. Wir sollten uns darum kümmern, uns unsere Möglichkeiten und Limitierungen immer klarer ins Bewusstsein zu rufen und zu transformieren. Vielleicht erkennen wir dabei, wie oft wir andere für unsere mangelnden Lebens- ergebnisse verantwortlich machen: den Staat, die Politiker, Chefs, Mitarbeiter, unsere Erziehung, das Schulsystem, Corona, das Leben an sich. Je mehr wir unseren Teil der Verantwortung erkennen und bei uns bleiben, umso weniger beschweren wir uns über andere. Das gibt Handlungskraft und erhöht unsere Selbstwirksamkeit. Genau dabei sollte Leadership in Zukunft helfen: dass sich Menschen bewusster werden. Egal, ob es dabei um Talente, Potenziale, Ressourcen, Märkte, Regierungssysteme, Produktzyklen, Mitbewerber, unsere Erde oder Diskriminierung geht. Früher ging es darum, Menschen zu führen. Heute geht es darum, das Bewusstsein von Menschen zu führen. Das Bewusstsein über das, was in mir liegt, was ich der Welt zeigen möchte. Wer diesen Gedanken versteht, erkennt, dass sich die Zeiten radikal geändert haben. In der Vergan- genheit ging die mentale Reise nach außen. Wir haben außerhalb von uns etwas gesucht, das uns Orientierung gibt und inspiriert. Jetzt geht die Reise nach innen. Dort finden wir ebenfalls Orientierung. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, uns auf diese Reise einzulassen. Wagen Sie sich? Paragraf 95 Führe das Bewusst- sein von Menschen! Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern. www.borisgrundl.de Wovon die Zukunft der menschlichen Entwicklung abhängt: Wir brauchen mehr Selbsterkenntnis. „ „

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