Wirtschaft und Weiterbildung 5/2021

R wirtschaft + weiterbildung 05_2021 31 der Sujets wählt, bei denen schon vorab klar ist: Die werden polarisieren und eine entsprechend große Resonanz in den analogen und digitalen Medien finden. So besuchte Weiwei zum Beispiel 2016 das griechische Flüchtlingslager Idomeni und ließ dort Hunderte von zurückgelassenen Kleidungsstücken einsammeln, waschen und flicken. Auf Drahtkleiderbügeln hän- gen diese heute in Museen und erfahren dort die Wertschätzung, so Weiwei, die ihren ehemaligen Besitzern auf der Flucht verwehrt wurde. Aber auch auf das Geld- verdienen versteht sich der Konzept- künstler. So schloss er 2020 mit der Bau- marktkette Hornbach einen Werbevertrag ab, der vorsah, dass diese ein Kunstwerk von ihm zum Selbstbauen anbietet – her- gestellt aus Hornbach-Produkten. Ai Wei- wei begründete diesen Deal (ganz in der Tradition eines anderen genialen Selbst- vermarkters namens Joseph Beuys) mit der „Demokratisierung“ von Kunst. Auch unter den deutschen Künstlern und Showgrößen gibt es viele, die gekonnt mit den Medien spielen. Hierzu zählt der En- tertainer und Fernsehjournalist Jan Böh- mermann, der regelmäßig die Grenzen der Satire auslotet. Ihn kennt spätestens seit dem 31. März 2016 fast jeder, als er in seiner Late-Night-Show ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vortrug, das einen medi- alen und politischen Sturm auslöste. Ein für Führungskräfte interessantes Fallbei- spiel ist auch der Fernsehmoderator Kai Pflaume, dessen Karriere 1993 mit der RTL-Show „Nur die Liebe zählt“ begann und der in der Medienwelt eigentlich zum alten Eisen zählte. Ihm gelang mit Hilfe der Social Media ein Imagewandel. Seit April 2020 betreibt er den Youtube- Kanal Ehrenpflaume, auf dem er in 30- bis 90-minütigen Videos erfolgreiche deutschsprachige Influencer einen Tag begleitet. Der Kanal hatte im März 2021 über 565.000 Abonnenten und über 20 Millionen Videoaufrufe. Und der 1967 geborene Kai Pflaume? Er ist aufgrund seines strategisch klugen Schachzugs, sich über seinen Youtube-Kanal mit der Influencerszene zu „connecten“, heute auch bei den Angehörigen der Generation Y und Z Kult. Allen genannten Kunstschaffenden ist gemeinsam, dass sie bei ihrer Selbstver- marktung und teils auch bei ihrer Arbeit neue Wege beschreiten. Sie loten im Umgang mit den Medien und Followern immer wieder aus, was geht und wie man die gewünschte Wirkung erzielt. Und selbst wenn ihr Kerngeschäft in der analogen Welt liegt, so nutzen sie die so- zialen Medien doch virtuos, um ihre Be- kanntheit zu steigern oder ihre Botschaft in die Welt hinaus zu tragen. Gerade weil Kunstschaffende oft Regeln brechen und Routinen hinterfragen, können Führungs- kräfte von ihnen viel lernen. Künstler stehen für Veränderung wie Manager für Zukunft, und hier wie dort gilt es oft, ge- wohnte Pfade zu verlassen. Kunstschaf- fende gehen hierbei meist intuitiv und ex- perimentell vor – ohne erkennbare Furcht vor Fehlern. Auch Führungskräfte müs- sen, wenn sie Zukunft gestalten möchten, auf ihre Intuition vertrauen. Influencer- Leader wissen, dass man experimentieren muss, um sich einem Ziel zu nähern und dass Nichtstun meist die schlechteste Lö- sung ist. Deshalb inspirieren und ermu- tigen sie die Personen in ihrem Umfeld dazu, auch Neuland zu betreten. Prinzip 2: Sei nahbar Nur wenn ich andere Menschen auch emotional erreiche, folgen sie mir und meinen Ideen. Das wissen Spitzenver- käufer. Ein guter Verkäufer war auch Steve Jobs, dessen öffentliche Auftritte, wie zum Beispiel im Jahr 2007 als Apple das erste iPhone in dem Markt einführte, legendär sind. Jobs inszenierte sich bei ihnen gezielt als Marke – zum Beispiel, indem er stets einen schwarzen Rollkra- genpulli trug und dazu meist Jeans – zu einer Zeit als sich die deutschen CEOs nur in Anzug und Krawatte aus dem Haus wagten. Auch ansonsten präsentierte er sich als ein Mensch, der anders ist. So war zum Beispiel allgemein bekannt, dass er Veganer, Buddhist und ein Bob-Dylan- Fan ist. Auch dies trug dazu bei, dass Jobs und mit ihm die Marke Apple für viele Leute Kult waren, und es für sie so- zusagen ein „Muss“ war, mit einem Mac statt normalen PC zu arbeiten. Jobs war ein extrem erfolgreicher Influencer, ob- wohl es zu seinen Hochzeiten noch keine Social Media gab. Als Steve Jobs im So- cial-Media-Zeitalter kann man Elon Musk bezeichnen, ohne den der Tesla-Konzern nie seinen heutigen Börsenwert erreicht hätte. Allein in den letzten zwei Jahren stieg er auf das 15-fache und Musk wurde zur reichsten Person der Welt. Hierzu trug auch bei, dass er sich cross- medial als visionärer Denker und Macher inszeniert. Musk gilt als ein Technikfreak, der Träume nicht nur träumen, sondern auch realisieren kann – egal, ob es darum geht, mit Tesla die Mobilität zu revolu- tionieren oder mit seinem Unternehmen Space X die Kosten des Weltraumtrans- ports so weit zu senken, dass sich Men- schen auf anderen Himmelskörpern an- siedeln können. Doch nicht nur deshalb ist Musk ein Idol für viele technikver- liebte Männer, sondern auch aufgrund solcher Eigenheiten wie, dass eines seiner Hobbys das Fliegen von Kampfjets ist. Dies erzeugt bei vielen seiner „Fans“ das Gefühl: Das ist ein echter Mann. Entspre- chend gerne folgen sie ihm. Das heißt, Influencer bauen eine Bezie- hung zu Personen auf, indem sie sich auch als Mensch zeigen und Privates Greta Thunberg Foto: Finnbarr Webster / Kontributor / gettyimages.de

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