Wirtschaft und Weiterbildung 5/2021
wirtschaft + weiterbildung 05_2021 23 tet. Der Schüler kann sich trotzdem auf seine Berufswahl vorbereiten. Außerdem lernt er die Perspektive zu wechseln und zwei Dinge unter einen Hut zu bekom- men. Jede Krise, jeder Change- oder Transfor- mationsprozess birgt Widersprüchlich- keiten und Mehrdeutigkeiten. Humor trainiert im hohen Maße die Fähigkeit, mit Mehrdeutigkeiten umzugehen. Man spricht auch von Ambiguitätstoleranz. Das bedeutet Ungewissheits- und Un- sicherheitstoleranz. Sie lässt sich zum Beispiel mit humorvollen Vergleichen üben. Ein Vergleich wie „diese Verände- rung ist wie eine Achterbahnfahrt“ oder „wir haben hier gerade scheinbar den Endkampf von Harry Potter vor uns“ oder „die Drehbuchautoren von ‚Krieg der Sterne‘ haben angefagt, ob sie von uns Ratschläge bekommen können“ bringen zum Schmunzeln und erzeugen Leichtig- keit. Und wieder liegt der Fokus auf er- mutigendem, also dem sozialen Humor. Der ermöglicht ein kurzes Durchatmen. Humor stärkt die Arbeitgebermarke Das „Bestattungsmuseum Wien“ konnte während des Lockdowns trotz Museums- schließung seinen Umsatz verdreifachen, weil es sich traute, einen Verkaufsshop mit humorvollen Produkten zu eröffnen. Ganz geschmackvoll und mit viel Sinn für Feinheiten. Natürlich sprach es damit ein junges Publikum zwischen 20 und 60 Jah- ren an – und nicht die Angehörigen mit Todesfall. Es gab T-Shirts mit offensicht- lichen Übertreibungen zum Lebensende „Ich turne bis zur Urne“ oder (in Koopera- tion mit den Bibliotheken Wien) „Ich lese, bis ich verwese“. Das Museum wurde für seinen Mut und seine Ermutigung belohnt und kam so als Unternehmen gut durch eine schwierige Zeit. Ich erspare Ihnen die Forderung, eine Krise als Chance zu sehen. Eine Krise ist anstrengend und macht dünnhäutig. Uns alle. Jeder Ver- änderungsprozess im Business auch. Bevor Sie eine Krise oder Veränderung als Chance sehen, müssen Sie diese in man- chen Fällen erst einmal überleben. Durch Humor entstehen ein überlebensnotwen- diger Puffer, eine neue Kraft oder neue Ideen für die anstehende Veränderung. Ein Würzburger Dentallabor hat im Jahr 2019 in einer Übernachtaktion einen witzigen Film für die sozialen Medien gedreht. In einem Minibus sitzen vier Mitarbeitende des Dentallabors, ziehen sich Räubermasken über und fahren zur nächsten Zahnarztpraxis. Dort wollen sie einen Zahntechniker entführen, denn die sind im Fachkräftemangel selten. Ein Mann kommt aus der Praxis. Dem ziehen sie einen Sack über den Kopf und zerren ihn ins Auto. Er ruft: „Ich bin doch nur Zahnarzt.“ Er wird wieder rausgeworfen und schreit: „Ich rufe die Polizei!“ Darauf der Fahrer des Minibus: „Nein, nicht die Polizei! Wir brauchen doch einen Zahn- techniker.“ Und in die Kamera: „Wenn auch Sie sich bewerben wollen, tun Sie das doch direkt bei uns. Wer weiß, bei wem wir als Nächstes auf der Matte ste- hen.“ Eine vorbildliche Idee, mit einfachen Mitteln ganz unprofessionell umgesetzt: 30.000 Likes auf Facebook. Zehn Bewer- bungen. Eine Einstellung. Günstiger als jede Stellenanzeige in der Tageszeitung. In Zeiten noch immer sehr bedrohlichen Fachkräftemangels bedarf es ungewöhn- licherer Ideen, um neue Mitarbeitende zu finden und zu binden. Durch Humor schafft man Aufmerksamkeit. Die ver- schiedenen Interpretationsmöglichkeiten von nervigen oder unklaren Situationen können sogar gezielt für die Humorpro- duktion genutzt werden. Eine Zahnarzt- praxis warb mit dem Plakat: „Jetzt ist die beste Zeit für eine Zahnspange!“ Dane- ben war ein Mensch mit Maske zu sehen. Damit spielte man auf die mit einer Zahn- spange verbundenen Scham an ... Humor kann auch aggressiv und bissig sein Ein „lustiges“ Foto für Selbstständige trägt die Überschrift „Hilfspaket für Selbstständige ist angekommen“. In dem abgebildeten Paket erkennt man einen Strick, mit dem man sich das Leben neh- men kann. Wenn das eigene Unterneh- men tatsächlich in der Existenz bedroht ist, ist das nicht im geringsten witzig. Ein Sanitäter kommt zu einem Patienten, der am Boden liegt: „Endlich mal ein Herzin- farkt! Der ganze Coronascheiß geht mir echt auf den Keks.“ Für Pflegekräfte und Mediziner ein guter Lacher in der aktu- ellen Zeit, für Patientenohren ist der Witz eher ungeeignet. An dieser Stelle fängt das eigentliche Hu- mortraining an. In der Unterscheidung von aggressivem und sozialem Humor, dem Unterscheiden von Humortech- niken, die zu unterschiedlichsten Zielen führen können. Egal ob im Online-Live- Training, bei Widerständen im Semi- nar oder unfairen Angriffen: Humor als Kommunikationswerkzeug hat sich in den letzten zwanzig Jahren enorm wei- terentwickelt. Wir wissen über Humor und ihren Einsatz im Business mit da- zugehörigen Chancen und Risiken viel mehr als früher. Lassen Sie Ihre Leich- tigkeit, Ihr humorvolles Auge für die Widersprüche des Alltags nicht am Bühnenrand Ihrer täglichen Online-Live- Trainings und Präsentationen liegen. Eine Übersicht der Humortechniken (Ka- sten) bietet Ihnen Inspiration zum Üben. Sie halten Ihren Job länger durch, wenn Sie auf Ihr Humorkonto regelmäßig eine Portion Humor einzahlen. Dann können Sie auch in schwierigen Zeiten Humor abheben. Eva Ullmann Eva Ullmann arbeitet seit vie- len Jahren als Humorexper t i n , Autorin und Red- nerin (www.diehumorexpertin.de). Si e hat in Leipzig das „Deutsche Institut für Humor“ gegründet und hält zahl- reiche Trainings und Vorträge. Sie hat diverse Artikel, Bücher und Hörbücher veröffentlicht. Ihr Buch „Humor ist Chefsache“ erschien 2020. In ihrem aktuellen Newsletter „Humor-Dialog“ (www.humorinstitut.de/humordialog) beleuchtet sie mit Marketingexper- ten den neuesten Wissensstand zu Humor in Markenbeziehungen. Deutsches Institut für Humor Feuerbachstraße 26 04105 Leipzig Tel. 0341 4811848 www.humorinstitut.de AUTORIN
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