Wirtschaft und Weiterbildung 3/2021

grundls grundgesetz Boris Grundl 56 wirtschaft + weiterbildung 03_2021 Geht es um Vertrauen und Kontrolle, kochen die Emotionen hoch: „Wenn du mich kontrollierst, ist das der Beweis, dass du mir nicht vertraust.“ Diese Moralkeule hören wir jeden Tag in den Gängen von Unternehmen. Diese Meinung hält sich hartnäckig: Vertrauen sei gut, Kontrolle ein Ausdruck von Miss- trauen, also schlecht. Es gilt geradezu als Charak- terschwäche, anderen zu misstrauen. Wie kommt es zu dieser Sichtweise? In der Vergangenheit wurde Kontrolle oft missbraucht. Sie diente dazu, Menschen Schuld einzureden, ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen, sie klein zu halten, damit sie weiter funktionieren. Leider gibt es immer noch zu viele Firmenkulturen, die charakterschwachen Führungskräften solche Schuldverteilungsspiele erlauben. Menschen mit schwachem Selbstwert empfinden Kontrolle dann oft als einen sehr schmerzhaften Angriff. Doch Kontrolle kann auch anders wirken. Wir kön- nen sie ebenso als Hilfe zur Zielerreichung sehen. Wie ein Rennfahrer: Er bekommt nach einer Trai- ningsrunde in der Box unzählige Daten über seine Fahrleistung. Wenn jemand ihm diese Informatio- nen vorenthalten würde, wäre seine Beschwerde groß. Er empfindet die Kontrolle als gutes Hilfs- mittel, das Siegerpodest zu erklimmen. Wie unter- schiedlich diese beiden Sichtweisen doch sind! Einmal ist Kontrolle ein Instrument der Menschen- unterdrückung, einmal eines der Menschenentwick- lung. Beides ist erlernt. Faszinierend! Doch wie wird daraus ein Menschenentwicklungsinstrument? Wie können Mitarbeiter Kontrolle als Hilfe sehen? Auf der Suche nach einer Antwort kommt das Vertrauen ins Spiel. Genauer gesagt: die kluge Balance von Ver- und Misstrauen. Wer zu viel vertraut, ist entwe- der zu faul oder zu idealistisch. Faulheit scheut den Aufwand für hilfreiche Kontrollinstrumente, Idealis- mus vernebelt die Einsicht über die Notwendigkeit. Der große Gegenspieler ist das Misstrauen. Auch hierbei handelt es sich um erlernte Erfahrung. Miss- trauen entsteht durch enttäuschte Erwartungen aus der Vergangenheit. Da die Verletzungen noch nicht verarbeitet (transformiert) wurden, bleibt eine große Angst vor erneutem Schmerz. Oft endet das in Kontrollsucht oder einem „Ich-mach-das-lieber-selbst“-Wahn. Die Transformation von zu viel und zu wenig Vertrauen heißt „kluges Vertrauen“. Kluges Vertrauen ist ein mentaler Zustand, der gleichzeitig von etwa zwei Dritteln Vertrauen und einem Drittel Misstrauen gespeist wird. Bei den meisten domi- niert eine Schwarz-Weiß-Denke. Ihr Bewusstsein befindet sich entweder in vollem Vertrauen (und damit in Sicherheit) oder im Misstrauen (und damit im Zweifel). Trainieren lässt sich die Transformation so: Vertrauen entsteht, wenn sich das Bewusstsein auf Themen ausrichtet, die einen mit etwas oder jemandem verbinden, eine Art „Verliebtsein“. Miss- trauen entsteht, wenn wir uns darauf konzentrieren, was uns von etwas oder jemandem trennt. Kluges Vertrauen basiert also darauf, dass das Bewusst- sein verbindende und trennende Elemente gleich- zeitig wahrnimmt und sich auf das Verbindende konzentriert. Dieses „kritische Vertrauen“, eine Art Reife, zeigt sich, indem alle relevanten Informationen zügig zur entscheidenden Stelle im Unternehmen gelangen. Ohne politische Spielchen. Jetzt wissen Sie, wie es geht. Ich weiß, das liest sich leichter, als es sich umsetzt. Doch es lohnt sich, jeden Tag daran zu arbeiten. Also ran an den Speck. Paragraf 93 Vertraue und misstraue klug! Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern. www.borisgrundl.de Ist es wirklich eine Charakter- schwäche, anderen zu misstrauen? „ „

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