Wirtschaft + Weiterbildung 5/2020

R wirtschaft + weiterbildung 05_2020 43 Weil die Professoren zu weit von der Rea- lität in den Unternehmen entfernt sind? Lorange: Bei der Einstellung oder Beru- fung eines Professors spielen typischer- weise seine Forschungsleistungen die ent- scheidende Rolle. Da wird relativ wenig Wert darauf gelegt, welche Relevanz diese für künftige Manager und damit auch in der Lehre haben. In vielen Busi- ness Schools gibt es nach wie vor die Auf- fassung, dass es in erster Linie auf gute Forschungsleistungen ankommt und die Lehre weniger wichtig ist. Die Star-Profes- soren forschen und in der Lehre sind die Adjunct-Professoren oder Lehrbeauftrag- ten tätig. Aber wir brauchen Professoren, die beides machen und ihre aktuellen und für die Praxis relevanten Forschungs- ergebnisse in die Lehre einbringen. Das Flaggschiffprogramm der Business Schools ist nach wie vor das MBA- Studium. Was muss sich dort ändern? Lorange: Die Kernfächer eines MBA-Stu- diums wie etwa „Finance“ oder „Strate- gie“ kann man relativ schnell vermitteln – auch online. Aber im zweiten Teil sollten viel stärker als bisher aktuelle Themen behandelt werden. Dabei gibt es für mich vor allem zwei wesentliche Themenberei- che. Der eine ist „Data Analytics“/„Cloud Computing“, basierend auf modernster Statistik und Mathematik. Und der zweite ist, dass die Studenten viel mehr über das Management in der Serviceindustrie ler- nen müssen. Aber das sind Themen, die in den Busi- ness Schools bereits heute behandelt werden. Sie beschäftigen sich auch mit Data Analytics und agiler Führung. Lorange: Nein, sie lehren immer noch vor allem das alte Modell der Führung von hierarchischen Firmen und haben meiner Meinung nach nur ein recht oberflächli- ches Verständnis über die neuen Themen. Professoren haben gelernt zu forschen, um ihre Theorien zu bestätigen. Oder las- sen Sie es mich so sagen, sie beobachten die Dinge von außen wie ein Soziologe und nicht von innen. Sie müssen stärker handlungsorientiert denken. Aber viele Professoren sind auch als Berater tätig und haben diesen Praxis- bezug ... Lorange: Ja, das ändert sich zum Glück gerade. Früher hat man seinen PhD ge- macht und ist dann in der Business School langsam aufgestiegen, bis man eine Professur auf Lebenszeit hatte. Da gab es keine Möglichkeit, einmal in die Wirtschaft zu gehen. Man musste in der akademischen Welt bleiben. Heute kann man viel problemloser zwischen den Karrieren wechseln. Nehmen Sie zum Beispiel einen Professor am IMD. Der hat vielleicht einen PhD an der Copenhagen Business School gemacht und danach eine erfolgreiche Karriere bei einer gro- ßen Beratung durchlaufen, wo er Leiter der globalen Strategie war. Dann kommt er an die Business School. Er verfügt also über die akademischen Grundlagen, kennt aber auch die Praxis und kann daher die richtigen Fragen stellen. Diese Dualität steht für einen radikalen Wandel. Praxiserfahrung ist sicher wichtig. Aber braucht man nicht auch Wissenschaftler, die mit Abstand auf die Themen schauen und das Ganze aus der theoretischen Perspektive betrachten? Lorange: Natürlich braucht man diese Wissenschaftler. Aber es funktioniert nicht mehr in dieser Dichotomie. Auch aus der Praxis können sich wichtige theoretische Fragestellungen ergeben. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel. Ich habe Migrolino beraten, das sind kleine Tank- stellenshops des Schweizer Handels- unternehmens Migros. Wir haben eine umfangreiche Datenanalyse gemacht und daraus fünf unterschiedliche Laden- konzepte abgeleitet. Die einen verkaufen vor allem Lebensmittel, die anderen Ge- schenke oder Alkohol. Nachdem sie die Konzepte umgesetzt hatten, hat sich der Verkauf verdoppelt. Aber bei dem Pro- jekt sind mir etliche Schwächen bei der Datenanalyse aufgefallen. Dazu habe ich einen wissenschaftlichen Artikel ge- schrieben. Wichtige theoretische Themen können daher auch durch praktische Ar- beit inspiriert werden. In Ihrem neuesten Buch schreiben Sie, dass es künftig immer mehr Part-time- Professoren geben wird ... Lorange: Gerade in Anbetracht der stei- genden Kosten sollte man sich fragen, warum man unbedingt Vollzeit-Profes- soren braucht. Ihre Lehrverpflichtungen sind typischerweise eher gering und auf relativ kurze Zeiten im Jahr beschränkt. Was machen sie den Rest der Zeit? Die übliche Antwort lautet: Forschung. Aber ist das wirklich immer der Fall? Oder un- terrichten sie nicht – gegen Honorar – an anderen Institutionen oder verdienen mit ihren Beratungsleistungen? Und wie gut ist die Qualität ihrer Forschungsleistun- gen wirklich? Hier wären durchaus fle- xiblere Verträge denkbar und man sollte auch überlegen, ob die Jahrhunderte alte Konvention der Professur auf Lebenszeit noch adäquat ist. Mehr Part-time-Professoren stellen aber ganz bestimmt den Dekan einer Business School vor deutlich höhere Herausforderungen … Lorange: Ja, das stimmt. Denn die Part- time-Professoren sollten nicht nur ein- zelne Kurse unterrichten. Sie sollten auch mit den Vollzeit-Professoren interagieren, um neue Impulse reinzubringen. Die wichtigste Fähigkeit eines guten Leiters einer Business School ist es für mich, die richtigen Professoren zu finden und sie immer wieder dazu zu inspirieren, gute Forschung und Lehre zusammenzubrin- gen. Bei aller Bescheidenheit, das Wich- tigste bei meinem Job als IMD-Präsident war es, dass ich den Personalausschuss geleitet habe. Mein Eindruck ist, dass die Auswahl der Professoren oft nicht sehr gut läuft. Da gibt es viele politische Ent- scheidungen. Und vor allem muss man die Professoren gut und regelmäßig coa- chen. Ich habe mich am IMD alles sechs Monate mit jedem einzelnen Professor für ein bis zwei Stunden getroffen und ge- fragt, welche interessanten und aufregen- den Dinge er oder sie in ihrer Forschung Foto: Samuel B. / AdobeStock „Man sollte überlegen, ob die Jahrhunderte alte Konvention der Professur auf Lebenszeit noch adäquat ist.“

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