Wirtschaft + Weiterbildung 5/2020

wirtschaft + weiterbildung 05_2020 27 Martin Kompan. Der HR-Experte arbeitet als „Lead Agile Coach“ bei Dr. Oetker, einem weltweit agierenden Nahrungsmittelunternehmen. Welt. Doch es hängt etwas von der Zeit- schiene ab. Wenn es um Tagesworkshops geht, ist es schon etwas anders. Das geht einfach physisch nicht, dass man acht Stunden vor dem Rechner und der Ka- mera sitzt – oder man schreckt die Leute so ab, dass sie nie mehr bei so einem Workshop dabei sein möchten. Die erste Reaktion der Führungskräfte ist dann oft, sowas lieber gleich ganz abzusagen. Doch wir wissen ja nicht, wie lange die aktuelle Situation noch dauern wird. Sol- len wir dann bis September oder noch länger warten? Dann sind wir irgend- wann handlungsunfähig. Aber es gibt Möglichkeiten, auch einen Tagesworkshop digital zu machen? Kompan: Ja, beispielsweise, indem man den Input in Themenblöcke schneidet, Tools für digitale Whiteboards nutzt und genügend Pausen einplant. Wir haben kürzlich auch einen digitalen Fishbowl überlegt: Die Gruppe, die sonst in der Mitte sitzt und diskutiert, hat nun im Video-Chat die Kamera an. Wer mitdisku- tieren möchte, macht im Chat eine Mel- dung und so wechseln dann die Personen durch. Allgemein gilt: Agile Methoden funktionieren vor allem dann gut, wenn sich die Führungskräfte zurückziehen und das Team selbstständig in Abstim- mung agieren kann. Wie meistern die Führungskräfte bisher die Umstellung? Kompan: Man lernt in außergewöhnli- chen Situationen oftmals sehr schnell. Bei Führungskräften geht es vor allem um das Thema Vertrauen. Es ist zwar mög- lich, auch auf Distanz eng zu führen, aber dabei stoßen Führungskräfte schnell an ihre Grenzen. Man kann nicht zehn Leute jeden Tag durchtelefonieren, um zu kon- trollieren, ob sie auch arbeiten. Die Füh- rungskräfte haben ja auch noch etwas an- deres zu tun und so regelt sich das ganz von alleine. Sie müssen nun vertrauen, weil es nicht anders geht. Welche Form der Unterstützung bekommen denn Führungskräfte beim Selbstmanagement? Kompan: Wir möchten Austauschmög- lichkeiten für Führungskräfte organisie- ren und eine Art Community of Practice aufbauen. Das war schon vor der Krise geplant, dass wir zum Beispiel mit WOL- Circles den Austausch auf Führungsebene pushen. Dieser Austausch der Führungs- kräfte untereinander ist gerade dann, wenn jeder im Homeoffice sitzt, sehr schwierig. Deshalb müssen wir da erst noch neue Formate schaffen. Wie sieht es Ihrer Erfahrung nach eigentlich mit der Geschäftsführung und dem Topmanagement in Sachen Offenheit für agile Methoden aus? Kompan: Gerade sind wir in einer sehr speziellen Situation und das läuft top- down. Das geht auch nicht anders. In herausfordernden Zeiten nutzen wir das, was wir gewohnt sind und von dem wir wissen, wie und dass es funktioniert. Dinge werden in einem zentralen Krisen- stab entschieden und die Informationen rieseln dann durch die Hierarchie durch. Das läuft im Moment sehr gut. Das ope- rative Geschäft, also das, was wir tun, können wir im Homeoffice ein Stück weit verändern. Aber die strategische Ebene, das, wie wir etwas tun, ist eine andere Di- mension. Und beide Dimensionen gleich- zeitig anzugehen, würde die Organisation überfordern. Für eine neue Form des Arbeitens auf der „Wie-Ebene“ müssen wir in ruhigen Zeiten beginnen und diese erproben, bevor wir auf harter See sind. Wie schätzen Sie die Lage ein: Was wird am Ende, nachdem die Ausgangsbe- schränkungen aufgehoben sind, vom Großexperiment „Homeoffice“ bleiben? Kompan: Vieles wird davon abhängen, welche guten Erfahrungen wir mit Home- office und Remote Work machen werden. Wir hoffen, dass dann der Erkenntnispro- zess bei Führungskräften einsetzt und sie sagen: „Ich konnte die Mitarbeiter zwar nicht kontrollieren, aber es hat trotzdem funktioniert!“ Wir versuchen mit unseren HR-Kollegen zu helfen und dazu beizutra- gen, dass die neue Arbeitsweise gelebte Praxis wird. Denn wenn das alles nicht zur Normalität wird, schlägt die Gewohn- heit schnell zurück. Vielleicht bleiben ein paar Ansätze und Arbeitsweisen auch in der Zukunft noch relevant. Das wäre wie beim Internet: Früher mussten wir uns mit dem Modem einwählen, heute ist das Internet immer da. Auch der Achtstun- dentag ist nicht gottgegeben, sondern hat sich vor etwa 100 Jahren durch Vereinba- rungen von Menschen entwickelt. Viel- leicht sind wir es irgendwann gewohnt, flexibel und adäquat auf veränderte Rah- menbedingungen zu reagieren und dann wäre New Work selbstverständlich. Wenn wir das in den nächsten Wochen üben, könnten wir einen Teil davon in die Zu- kunft retten. Interview: Stefanie Hornung

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