Wirtschaft + Weiterbildung 5/2020
personal- und organisationsentwicklung 26 wirtschaft + weiterbildung 05_2020 gewisser Weise eine Chance, auch wenn wir uns die Umstände natürlich anders gewünscht hätten. Aber seit einem Jahr arbeiten wir daran, dass wir von einem Push- in einen Pull-Modus kommen – sprich, dass die Beschäftigten bei uns aktiv nach agilen Methoden fragen, weil sie die Notwendigkeit dafür sehen. Das ist nun gegeben. Und vorher hatten sie diese Notwendigkeit nicht? Kompan: Viele agile Methoden zielen da- rauf ab, unsere Probleme im Arbeitsalltag besser zu meistern. Wir merken alle immer öfter, dass wir mit alten Arbeits- weisen ein Zeitproblem haben. Und na- türlich lassen sich auch dezentrale, inter- nationale Teams besser managen. Aber vorher fehlte den Kollegen oft der Bogen, warum agiles Arbeiten ihnen konkret helfen könnte. Warum sollten sie diese ganzen Tools nutzen? Sie waren ja alle im Büro und konnten sich jederzeit treffen. Wie helfen agile Methoden nun, den Arbeitsalltag im Homeoffice besser zu bewältigen? Kompan: Wir arbeiten vor allem mit einer Kombination aus Scrum und Kanban, eng angelehnt an das agile Manifest. Und wir nutzen Teamboards, die Aufgaben trans- parent machen, sowie verschiedene Mee- tingformate wie Dailys, Weeklys, Virtual Coffee Breaks oder Digital Lunch, um den arbeitsbezogenen und privaten Aus- tausch zu unterstützen. Mit unserem Tool „Team Vision“, eine Art Team Canvas, können die Teams ihren Selbstfindungs- prozess reflektieren. Braucht es am Anfang mehr Regeln, um diesen Selbstfindungsprozess zu begleiten und damit die Teammitglieder die neuen Methoden lernen können? Kompan: Regeln klingt zu hart. Wichtiger ist für den Lernprozess, dass wir Dinge einfach machen. Wir erleben gerade viele Experimente. Da fängt man eine Session mit Google Hangouts an, wenn es nicht funktioniert, wechselt man on-the-fly zu einem anderen Tool und wenn da gerade die Kapazitäten überlastet sind, versucht man es mit MS Teams. Anfangs hapert es noch an vielen Stellen, die Leute sprechen gleichzeitig, lassen trotz Hintergrundgeräuschen ihre Mikros an. Aber mit der Zeit entwickelt sich so etwas wie ein Best Practice und das ist dann schnell Common Sense. So ein klei- ner Mini-Hack bei uns ist zum Beispiel, dass man „Check“ sagt, wenn der eigene Redepart zu Ende ist. Das entsteht im Op- timalfall nach dem Tipping-Point-Prinzip: Early Adopter machen positive Erfahrun- gen und stecken die Leute an, die viel- leicht am Anfang noch Probleme haben, sich dazu zu motivieren. Funktionieren agile Methoden wie Scrum oder auch Kanban digital anders als analog? Kompan: Die Formate sind digital eigent- lich nicht viel anders als in der analogen Auch bei Dr. Oetker arbeiten nun viele Beschäftigte im Homeoffice. Wo drückt bei den Mitarbeitern der Schuh besonders? Martin Kompan: Das ist sehr unterschied- lich. Manche haben zunächst Probleme mit der Technik, brauchen erst ein Head- set und müssen alle Apps einrichten. Dann sind da auch private Dinge, der Hund und die Kinder beispielsweise – die Kollegen müssen ihren Tag neu organisie- ren. Wir unterscheiden im Coaching drei Dimensionen: Zum einen die Ich-Ebene, also wie jeder selbst seine Arbeit struk- turiert, die Wir-Ebene, wie wir als Team zusammen agieren, und die Unterneh- mensebene. Wir sind vor allem auf der Teamebene unterwegs und unterstützen Führungskräfte dabei, wie sie die Team- arbeit in der neuen Situation verbessern können. Was heißt das im Moment konkret für Ihre Arbeit als agiler Coach in einem großen Konzern? Kompan: Wir operieren aus dem Bereich „People & Culture“, also als Teil von HR, und machen allen Kollegen Angebote für agiles Arbeiten. Dazu gehören auch spe- zifische Aktivitäten wie eine Art Sprech- stunde zu Remote Work. Aber wir bieten auch explizit Coachings für Teams, die unsere Hilfe anfragen. Für uns als agile Coachs ist die momentane Situation in New Work: Jetzt einüben, um es in die Zukunft zu retten AGILITÄT/INTERVIEW. Martin Kompan verantwortet als „Lead Agile Coach“ beim Lebensmittelkonzern Dr. Oetker in Bielefeld den kulturellen Wandel in Richtung Agilität. Der Österreicher, der selbst schon länger remote mit Kollegen zusammenarbeitet, sieht die Chance, dass sich durch den Großversuch „Homeoffice“ neue Routinen für „New Work“ entwickeln können. „Wichtig ist, dass wir die Dinge einfach machen. Wir erleben gerade viele Experimente.“
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