Wirtschaft + Weiterbildung 5/2020

personal- und organisationsentwicklung 24 wirtschaft + weiterbildung 05_2020 oft das Ausformulieren von Zukunfts- Szenarien umfasst. Die Szenario-Technik gilt ihr als hilfreiche Methode, um die Kunden schon recht früh dazu zu brin- gen, sich der ungewissen Zukunft aus mehreren Perspektiven anzunähern. Reitschmied: „Szenarien sind keine Pro- gnosen der Zukunft, sie schaffen eine Übersicht über Möglichkeitsräume und geben so Sicherheit für wichtige Entschei- dungen.“ Die Szenariomethode tauchte erstmals im Zusammenhang mit der Öl- krise im Jahr 1973 auf und wurde popu- lär, weil sie von Eckard Minx und seinem Team in den 1990er-Jahren bei Daimler weiterentwickelt wurde. In dem Buch „Systemische Strategieentwicklung“ der OSB-Berater Rudi Wimmer und Reinhart Nagel wird beschrieben, wie Szenarien nach einem strengen Phasenschema ent- wickelt werden: • Aufgaben- und Problemanalyse (Aus- gangspunkt ist ein Problem, das kont- rovers angegangen werden kann). • Einflussanalyse (Einflussfaktoren wer- den ausdifferenziert und quantitative wie qualitative Kenngrößen definiert) • Trendprojektion (für jeden Einfluss­ faktor werden Trends identifiziert) • Entwicklung von Szenarien (aus den Analysen werden unterschiedliche Zu- kunftsbilder abgeleitet: Wie könnte die bestmögliche und wie die schlechtmög- lichste Zukunft aussehen?) Die Szenario-Analyse ist eine Meta-Pro- blemlösungstechnik, die zur Entschei- dungsfindung einen „Rahmen“ vorgibt. 4 Neue Kommunikations- formen steigern Kreativität Am 16. April 2020 veröffentlichte Prof. Dr. Fritz B. Simon in seinem Blog „Si- mons Kehrwoche“ ein Interview, das er einem Podcaster des Instituts KMM an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg gab (https://wiegehts-kultur. de/2020/04/12/fritz-b-simon-un iversi- taet-witten-herdecke/). Da Simon auch Geschäftsführer des Carl Auer Verlags in Heidelberg ist, wurde er gefragt, welche Veränderungen er dort im Rahmen der Corona-Krise beobachtet habe. Simon: „Die meisten Mitarbeiter sitzen im Homeoffice und ich merke, dass die Kommunikation während der Online- konferenzen viel sachorientierter gewor- den ist. Man reagiert nicht mehr auf die ganzen nonverbalen Signale.“ Und weil man die körpersprachlichen Signale, die die Ablehnung eines Vorschlags signali- sierten, offenbar nicht mitbekomme, gehe man viel freundlicher miteinander um. Im Moment werde sehr viel produktiver gearbeitet als früher. „Alle überlegen sich, was man tun kann, um den Laden am Laufen zu erhalten.“ Es werde viel mit den digitalen Möglichkeiten experimen- tiert. Gedanken würden intensiver ausge- tauscht und Ideen schneller umgesetzt. Führungskräfte würden viel unwichtiger, weil man mehr auf der Kollegenebene kommuniziere, experimentiere und letzt- lich auch handele. Simon ist sich sicher, dass seine Beobach- tungen eine gewisse Allgemeingültigkeit haben und dass die Menschen in den Unternehmen auch vorher schon kreativ gewesen seien. Simon: „Aber die Kom- munikationsmuster waren nicht kreativ.“ Schließlich käme es bei der Kreativität nicht auf den einzelnen Menschen an, sondern Kreativität entstehe zwischen den Menschen – früher gelegentlich an der Kaffeemaschine und jetzt eben häu- figer beim Skypen. Die Mitarbeiter seien auch deshalb kreativer, weil man sich in der jetzigen Situation nicht mehr so sehr an den üblichen Spielregeln orien- tiere und sich mehr traue, Sachen zu ma- chen, die vorher möglicherweise nicht erwünscht gewesen seien. Simon: „Die Menschen werden auch weniger von der Hierarchie beobachtet! Insofern entsteht zwischen ihnen etwas Neues.“ Jedem Beobachter von organisa- torischen Abläufen sei klar: „Überall da, wo es um Kreativität geht, ist Hierarchie tödlich.“ Hierarchie sei selbstverständlich wichtig, wenn es darum gehe, Handlun- gen zu koordinieren und schnelle Ent- scheidungen zu treffen. Wenn man Krea- tivität wolle, müsse man Hierarchie aber außer Kraft setzen. Und das findet derzeit laut Simon wohl in großem Maße statt, weil die Menschen neue Kommunikati- onsmöglichkeiten haben. Dass es in deutschen Unternehmen auch ganz anders zugehen kann, weiß Sabine von Oesterreich, Beraterin und Coach in Frankfurt am Main. In einem Interview mit dem „Stern“ (Nr.17 vom 16. April 2020) erwähnt sie eine Versicherung, bei der die Personalabteilung Homeoffice an- geordnet hatte und der Finanzchef das wieder rückgängig machte mit der Be- gründung, er wisse nicht, was die Leute zu Hause machten. Es gibt offenbar Un- ternehmen, wo Zweifel an der Loyalität der Angestellten herrscht und wo die R Shutdown. Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof verliert nach eigenen Angaben europaweit wöchentlich einen Umsatz von mehr als 80 Millionen Euro. Fotos: Martin Pichler

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