Wirtschaft + Weiterbildung 5/2020

wirtschaft + weiterbildung 05_2020 21 „E-Learning bringt nichts, wenn es nur Wissensvermittlung ist“ Die abschließende Trainingswoche mit Prüfung der Wei- terbildung zum „Management- und Führungstrainer (IHK)“ wurde Ende März 2020 komplett online durchgeführt. Konnte das gut gehen? Eigentlich nicht, denn wenn ein Trai- ner eine „Arbeitsprobe“ abliefern soll, braucht er doch den Kontakt mit allen Sinnen zu einer Gruppe von Menschen, die unmittelbar auf seine Interventionen reagieren. Bernd Stelzer, Chef der Best Bildungs-GmbH, Waldkappel, hätte den einwöchigen, als Präsenzveranstaltung geplanten Abschlussteil seiner Trainerausbildung krisenbedingt aus- fallen lassen müssen. Aber dann entschloss er sich zusam- men mit sieben Teilnehmern, das angekündigte Präsenz­ seminar inklusive der Arbeitsproben der „Schüler“ komplett online durchzuführen. Ab in die Break Rooms So kam es, dass Katja, Personalentwicklerin eines süd- deutschen Dienstleistungskonzerns, die künftig bei ihrem Arbeitgeber auch Seminare zum Thema „Zum ersten Mal Führungskraft“ durchführen muss, eines Morgens die sechs Mitstreiter aus ihrer Ausbildungsgruppe in einem virtuellen Konferenzraum auf der Kollaborationsplattform „Adobe Connect Learning“ traf. Jeweils zwei von ihnen schickte sie im Rahmen ihres Demo-Trainings in Kleingrup- penräume (Break Rooms mit zusätzlichen Whiteboards für schriftliche Notizen), um dort Rollenspiele durchzuführen. Es wurden die Rollen „Führungskraft“ und „Mitarbeiter“ vergeben. Die Führungskraft sollte mit ihrem Mitarbeiter ein Ziel vereinbaren, der Mitarbeiter sollte sich sträuben. Die Trainerin konnte jede der drei Übungsgruppen besu- chen und wenn zum Beispiel sich ein „Mitarbeiter“ nicht genug sträubte, konnte sie ihm über eine private Textnach- richt konkrete Anweisungen geben, dem „Chef“ das Leben schwerer zu machen. Ziel der Übung ist, dass die „Chefs“ eigenständig über die Situation nachdenken und eigene Lösungen einbringen. Anschließend trafen sich alle wieder im großen, virtuellen Konferenzraum. Die „Chefs“ berich- teten von ihren Gesprächen, die „Mitarbeiter“ ergänzten die Dinge aus ihrer Sicht und die Trainerin kommentierte zum Teil lobend und zum Teil auch kritisierend die einzelne Gesprächsstrategien. Diese handlungsorientierte Ausrichtung eines virtuellen Klassenraums, die man nur mit synchronen E-Learning- Didaktik. Arbeitnehmer bräuchten kein zusätzliches Wissen, sondern echte Kompetenzen. Die könne man auch mit E-Learning entwickeln, aber dazu sei es notwendig, dass Erkenntnisse der lernerzentrierten, konstruktivistischen Didaktik konsequent umgesetzt würden, betont Bernd Stelzer, der gerade sein erstes Verhaltenstraining mit Rollenspielen komplett virtuell durchgeführt hat. Elementen erreicht, ist laut Stelzer immer noch „einzig- artig“. Viele Personalentwickler seien sich noch nicht im Klaren darüber, welche Art von E-Learning notwendig sei, um bei den Mitarbeitern echte Kompetenzen zu entwickeln. E-Learning werde derzeit fast nur dazu genutzt, um Wis- sen zu vermitteln. Doch Wissen helfe nicht weiter, wenn es nicht „verinnerlicht“ werde. Es helfe insbesondere dann nicht weiter, wenn man in der Praxis vor Problemen stehe und lösungsorientiert handeln solle. Stelzer: „Lernen ist nicht Wissensvermittlung! Man hat nur gelernt, wenn man anschließend etwas kann.“ Bei den Rollenspielen komme es nicht darauf an, dass ein Teilnehmer das spielerisch wie- derhole, was er sich angelesen habe, sondern dass er sich mit seinem „Selbstgedachten“ auseinandersetze. Deswe- gen sei es immer wichtig, dass nach einem Rollenspiel mit Gruppe und Trainer ein Debriefing stattfinde. Die Weiterbildung zum Trainer, von der hier die Rede ist, dauert sechs Monate und umfasst 240 Unterrichtsstun- den. Sie beginnt und endet jeweils mit einem einwöchigen Präsenzseminar. Dazwischen finden 20 Webinare und acht Onlineworkshops statt. Außerdem muss eine Projektarbeit mit Bezug zum eigenen Arbeitsplatz abgeliefert werden. Neben den Rollenspielen gehören auch Planspiele (mit spontanen Situationsänderungen) sowie Onlinecollagen- Erstellungen und Onlinephantasiereisen zum Repertoire des lernerzentrierten Vorgehens. Die Teilnehmer des virtuellen Abschlussseminars der hier beschriebenen Trainerausbildung kritisierten mehrheitlich Übertragungsprobleme via Internet. Stelzer erinnert sich: „Manchmal reichte es aus, die Webcams auf Standbild zu reduzieren, manchmal kam es aber auch vorübergehend zu Bild- und Tonstörungen. Das zeigt, dass Deutschlands Netze noch nicht für ein uneingeschränktes digitales Lernen ausgelegt sind.“ Grundsätzlich erklärten die Teil- nehmer, dass sie in Zukunft eine Erhöhung der virtuellen Anteile begrüßen würden. Ein Teilnehmer sagte: „Mich hat positiv überrascht, dass sich trotz der fehlenden Pausen- gespräche und der fehlenden physikalischen Nähe eine Gruppenzusammengehörigkeit entwickelte.“ Mehrheitlich sagten die Teilnehmer aber auch, dass keinesfalls auf alle Präsenztage verzichtet werden dürfe. Stelzer interpretiert das als „Votum für gekonnt verzahntes Blended Learning“. Martin Pichler

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