Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020

training und coaching 48 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 Infektionsschutzmaßnahmen einhalten? Zunehmend wird mir klar: Die Rückkehr zum Regelbetrieb stellt die Führungs- mannschaften vor viele neue, bisher un- gekannte Fragen und Herausforderungen. 14. Mai: Ich bespreche mit einem Kun- den, dessen Unternehmen am 20. Mai wieder in den Regelbetrieb zurückkehrt, ob wir künftig die zweiwöchentlichen Führungskreis-Treffen, die ich moderiere, wieder als Präsenzveranstaltung durch- führen sollen. Seine Antwort: „Ach nein, lassen sie uns diese vorläufig mal, wie in den letzten zwei Monaten, als Video­ konferenz durchführen.“ Ich merke, dass ich über diese Antwort nicht unerfreut bin. Schließlich entfallen dadurch für mich zwei Stunden Reisezeit. Zudem sind die Kitas und Schulen noch geschlossen, also bin ich weiterhin verstärkt als „Erzie- her“ gefragt. Toll, Präsenzseminare sind wieder möglich 15. Mai: Ich führe in einem Tagungsho- tel mein erstes firmeninternes Präsenz­ seminar seit dem Lockdown durch. Im Tagungsraum trägt niemand Mundschutz, doch alle Anwesenden achten genau darauf, den vorgeschriebenen Sicher- heitsabstand einzuhalten. Entsprechend wurde auch der Tagungsraum bestuhlt. Nach den vielen Wochen mit Kontakt- Einschränkung vermittelt das Präsenz- seminar ein Gefühl der „Normalität“. Und für die Hotelinhaber bedeutet es die ersten Einnahmen seit Mitte März. Alles in allem klappt es recht gut, wenn auch manche Situationen ein wenig „spooky“ wirken: Beim Mittagessen sitzt jeder Teil- nehmer an einem separaten Tisch. Auch das gemeinsame Feierabendbier in der Hotelbar entfällt. Ich stelle mir vor, der Workshop hätte online stattgefunden, und bin mir sicher: Auch das hätte gut funktioniert. Hierüber spreche ich in der Abschlussrunde mit den Teilnehmern. Auch sie können sich vorstellen, dass künftig mehr Trainings online stattfinden. Und ich bin mir sicher: Das wird künftig so sein. 23. Mai: Ich ziehe im Gespräch mit mei- ner Frau eine Art Zwischenbilanz. Ich muss gestehen: Meine Umsätze sind, Stand heute, deutlich niedriger als vor Ausbruch der Corona-Krise. Es hat sich jedoch auf alle Fälle gelohnt, dass ich recht früh, noch vor dem Lockdown, Zeit und Geld in den Auf- und Ausbau meiner Online-Trainings- und -Beratungs- kompetenz investierte: Einige für meine Kunden wichtige Prozesse – und für mich wichtige Aufträge – konnten deshalb fast nahtlos weitergehen. Zum Glück! Mir war zwar auch schon vor der Corona- Krise klar: Die digitale Transformation der Wirtschaft macht auch vor der Bera- terbranche nicht Halt, doch Denken und Handeln sind auch bei Beratern zuweilen zweierlei. Um zu entscheiden, was dieses Wissen für meine Arbeit bedeutet, und die Beschlüsse konsequent umzusetzen, bedurfte es des Anstoßes „Corona-Virus“. Dankbar bin ich dem Virus hierfür nicht. Dafür ist der gesellschaftliche und wirt- schaftliche Preis zu hoch. Dass ich mich aber, als es anfing, brenzlig zu werden, so schnell auf die neue Herausforderung einstellte, macht mich stolz. 25. Mai: Eine neue Arbeitswoche beginnt. Über die BAFA-Förderung gibt es inzwi- schen Meldungen aus seriöser Quelle, dass dieses Programm eingefroren wurde – weil die Flut der Anträge, worunter auch viele unseriöse waren, das vorge- sehene Budget bei Weitem sprengte und das BAFA personell für diesen Ansturm nicht gerüstet war. Verständlich, aber auch schade, weil viele Unternehmen in Krisenzeiten, die Marktumbruch- zeiten sind, einen Blick von außen und eine gute Beratung brauchen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Zum Glück waren die subventionierten Beratungen nicht das einzige Pferd, auf das ich in den letzten Wochen setzte. Ansonsten würde ich jetzt innerlich zittern. So bereite ich mich aber ruhig auf den wöchentlichen Video-Call mit den Führungskräften eines Stammkunden vor, der in einer halben Stunde beginnt. 30. Mai: Heute startet das Pfingst­ wochenende. Bevor ich mich gleich mei- ner Familie widme, checke ich in meinem Büro den Maileingang. Im Spamordner finde ich zahlreiche Mails, in denen mir Gesichtsschutzmasken zum „Sonder- Dumping-Preis“ angeboten werden. Da haben sich anscheinend einige „clevere Geschäftlemacher“ verzockt. Das hoffe ich zumindest! Die Mails zeigen mir, wie viel sich aktuell in unserer Gesellschaft in kürzester Zeit ändert. Wurden vor wenigen Wochen Masken noch in Gold aufgewogen, so mutieren sie inzwischen wieder zur Cent-Ware. Ich bin gespannt, was uns Corona noch bringt. Gehe jetzt erst mal mit meinen Jungs spielen. 4. Juni: Gestern verständigten sich die Spitzen der Koalition auf ein Konjunk- turpaket – nach 21 Stunden Verhandlun- gen, was für ein Stress. Unter anderem wird bis Jahresende die Mehrwertsteuer gesenkt. Die Kaufprämien für klima- und umweltfreundliche Elektroautos werden verdoppelt. Auch der Kauf von klimafreundlichen Lastwagen, Flugzeu- gen und Schiffen wird gefördert. Zudem sind weitere „Überbrückungshilfen“ im Umfang von 25 Milliarden Euro für coro- nabedingt notleidende Betriebe geplant. Insgesamt 130 Milliarden Euro zur Sti- mulierung der Konjunktur will der Staat nochmals locker machen. Mir wird bei solchen Summen schwindelig. Doch der Wirtschaft wird das guttun. Und der Dax? Er hat mit fast 12.500 Punkten nahezu alte Höchststände erreicht. 5. Juni: Verrückte Welt! Heute Morgen sprach ich mit einem Topmanager bei einem Medizintechnikhersteller. Er sagte mir auf den Punkt gebracht, er könne das Krisengebabbel nicht mehr hören. Seinem Unternehmen habe die Corona- Krise bisher nur randvolle Auftragsbücher beschert, wenn man davon absähe, dass es aufgrund der nun geltenden Infekti- onsschutz- und Hygieneregelungen ei- nige Arbeitsabläufe „leicht modifizieren“ musste. Heute Nachmittag telefonierte ich dann mit einer oberen Führungskraft bei einem Automobilindustriezulieferer. Sie stand unter Strom und klagte unter anderem darüber, welche Spannungen in seinem Unternehmen dadurch entstün- R „Dass ich als Trainer und Coach endlich digitaler wurde – dazu bedurfte es der Corona-Krise!“

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