Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
R wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 47 – egal, wie sie heißen. Respekt nötigt mir auch ab, welche Ruhe sie nach einem extrem arbeitsreichen Tag noch in den abendlichen Talkrunden ausstrahlen – im Gegensatz zu einigen Experten und Be- ratern. 17. April: In den Tagen vor und nach Os- tern habe ich mit einigen Entscheidern in Unternehmen per Videokonferenz „Stra- tegieworkshops“ durchgeführt – sofern man die Workshops so nennen kann, denn aktuell haben fast alle Entscheidun- gen eine extrem kurze Halbwertszeit. In ihnen ging es meist darum, wie es in den Unternehmen weitergeht, nachdem die erforderlichen Akutmaßnahmen, zum Beispiel zur Sicherung von deren Liqui- dität, ergriffen sind. Immer seltener wird von der Zeit „nach der Krise“ gesprochen, weil klar wird: Ihre Dauer ist unbestimmt. Und häufig taucht die Frage auf: Wie gehen wir als Führungskräfte mit Unsi- cherheit um – der eigenen und der von Mitarbeitern? Mir wird zunehmend be- wusst, wie weit die Ist-Situation bei mei- nen Kunden auseinander klafft: Während in einer Klinik die Mitarbeiter aufgrund der vielen Arbeit nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, und ein Medizintechnik- hersteller seine Produktion hochfuhr, ist bei anderen Unternehmen Kurzarbeit an- gesagt. Bei wieder anderen läuft alles wei- ter wie gehabt, außer dass die Arbeitspro- zesse den nun geltenden Hygieneregeln angepasst wurden. Alle Unternehmen beschäftigt jedoch die Frage: Wie sehen in einem halben Jahr die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus? Bricht zum Beispiel die EU auseinander? Erhöhen die Staaten ihre Handelsbarrieren? Sind die nötigen Vorprodukte und Rohstoffe noch lieferbar? Hierüber lässt sich aktuell nur spekulieren. Es gibt tatsächlich einen Alltag in der Krise 19. April: Es ist Wochenende. Meine Frau und ich stellen fest, dass sich inzwischen bei uns ein gewisser Alltag in der Krise entwickelt hat. Unsere Belastung ist hoch, beruflich und privat. Wir können aufgrund der fehlenden Kinderbetreu- ung nur versetzt arbeiten. Die Zeit, die ich ansonsten in Zügen, im Auto und bei Kunden verbracht habe, brauche ich für unsere Jungs, während meine Frau ar- beitet. Bei allem Improvisieren und aller Unsicherheit freuen wir uns aber sehr darüber, dass wir als Familie und Klein- unternehmer recht gut mit der Situation klarkommen. Und apropos Jungs: Die spüren natürlich, dass uns viel bewegt. Ich bin sicher nicht immer der präsente Vater, der ich gerne wäre, weil mir so viele Sorgen im Kopf herumgehen. 20. April: In Deutschland treten die ersten vorsichtigen Lockerungen der Corona- Schutzmaßnahmen in Kraft. Viele Bun- desländer erlauben wieder das Einkaufen in Geschäften mit bis zu 800 Quadratme- tern Verkaufsfläche. Erschreckt habe ich in den letzten Tagen registriert, wie all- mählich wieder das gewohnte inner- und zwischenparteiische Gezänk beginnt und die Lobbyisten immer lauter ihre Forde- rungen artikulieren. Dabei sind seit dem Lockdown gerade mal vier Wochen ver- gangen und zu Recht warnt unsere Bun- deskanzlerin vor allzu voreiligen Locke- rungen. 22. April: Ich plane ein firmeninternes On- line-Training „Führung und Zusammen- arbeit in Corona-Zeiten“ für einen Neu- kunden. Dass in Krisenzeiten so schnell aus einem neuen Kontakt ein Auftrag ent- stand, freut mich sehr. Mein Aufraggeber nutzt eine Software, die ich zwar getestet, aber wegen ihres wenig nutzerorientier- ten Handlings für mich verworfen habe. Nun muss ich mich doch intensiver mit ihr befassen und mir auf die Schnelle eine gewisse Routine im Umgang mit ihr an- eignen. 24. April: Über Umwege erfuhr ich, dass von der Corona-Krise betroffene KMU kostenlos Beratungsleistungen im Wert von bis zu 4.000 Euro in Anspruch neh- men können – branchenübergreifend. Finanziert wird die Beratung zu 100 Pro- zent vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Abgewickelt wird das Ganze über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Ich stricke ein entsprechendes Beratungsangebot. Paral- lel versuche ich die BAFA zu erreichen, um zu erfahren, wie man von ihr als Be- ratungsunternehmen akkreditiert wird. Doch ich erreiche niemand. Den ganzen Tag ist das Telefon besetzt. Also wühle ich mich, wie sicher viele meiner Kolle- gen, durch die Informationen, die online erhältlich sind. 27. April: Ich habe die nötigen Unterlagen bei der BAFA eingereicht. Wie lange das Genehmigungsverfahren dauert, kann mir niemand sagen. Schade, ich hätte das kostenlose Beratungsangebot gerne als „Goodie“ für einige Stammkunden und Akquiseinstrument bei Neukunden genutzt. 4. Mai: Ich halte bei meinem Neukun- den das firmeninterne Online-Training „Führung und Zusammenarbeit in Co- rona-Zeiten“. Während der Veranstaltung kommt zufällig zur Sprache, dass es bei der genutzten Software jedem Teilneh- mer möglich ist, Mitschnitte zu machen. Verdammt, das hatte ich nicht auf dem Radar! Wir versichern uns gegenseitig nachträglich, davon keinen Gebrauch zu machen, doch künftig muss ich die- ses heikle Thema aktiv ansprechen und klären. 7. Mai: Bei meinen wöchentlichen Vi- deo-Calls mit einigen Stammkunden merke ich, wie sich angesichts des sich abzeichnenden Endes des Lockdowns und der allmählichen Rückkehr in den Regelbetrieb die Themen ändern, die den Teilnehmern unter den Nägeln brennen. So sorgt es in einigen Betrieben für Span- nungen, dass ein Teil der Mitarbeiter es kaum erwarten kann, wieder live zusam- menzuarbeiten, ein anderer Teil möchte lieber weiterhin – zumindest partiell – zu Hause arbeiten. In anderen Unternehmen ist Kurzarbeit ein großes Thema. Es wird in der Belegschaft lebhaft darüber disku- tiert, wieso einige Kollegen voll arbeiten und 100 Prozent Gehalt bekommen, wäh- rend andere daheim bleiben und mit dem Kurzarbeitergeld auskommen müssen. Auch die Frage muss geklärt werden: Wie kann man bei Aufnahme des Regelbe- triebs die vorgeschriebenen Hygiene- und „Die wichtigste Frage der Führungskräfte war oft: Wie gehen wir bloß mit dieser Unsicherheit um?“
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