Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020

R wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 45 Nikola Doll. Die Ehefrau arbeitet ebenfalls als Trainer und Coach und hatte bereits gute Erfahrungen mit Online-Coaching. spiel ZF, BMW und Wacker – die ersten Mitarbeiter erkrankten und immer mehr Kunden das Thema im Gespräch mit mir erwähnen. 2. März: Der erste Kunde fragt bei mir an, ob wir einen für Ende April geplanten Führungskräfte-Workshop coronabedingt verschieben können: Wir verschieben ihn. 9. März: Italien erklärt wegen der hohen Zahl der Corona-Infizierten das ganze Land zur Sperrzone. Der Dax verzeichnet aufgrund dieser Nachricht den höchsten Tagesverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Beunruhigt frage ich mich: Was rollt da auf uns zu? Welche Auswirkungen hat dies auf meine Arbeit? Mir wird bewusst, wie fragil un- sere Lebenskonstrukte sind und wie rasch sich vieles in kurzer Zeit ändern kann. Erstmals verspüre ich Sorgen um die Ge- sundheit meiner Familie. 13. März: Seit gestern moderiere ich einen Workshop bei einem meiner ältes- ten Kunden im Schwabenland. „Corona“ ist sehr nahegerückt. Es werden keine Hände mehr geschüttelt. Wie ungewohnt! Zugleich wird jedoch viel spekuliert. Auf der Heimreise suche ich gezielt ein lee- res Zugabteil auf. Meine Frau ruft an und berichtet: Ab kommender Woche sind in Rheinland-Pfalz die Schulen, Kitas und womöglich auch Geschäfte, die keine Le- bensmittel verkaufen, geschlossen. Also müssen meine Frau und ich mehr Zeit für die Betreuung unserer fünf- und zehnjährigen Jungs aufbringen. Da wer- den wir ganz schön jonglieren müssen, weil wir beide als Berater, Trainer und Coachs noch recht volle Terminkalen- der haben. Doch in der letzten Woche stieg die Zahl der Anrufe und Mails von Kunden mit Auftragsstornierungen oder der Bitte, Termine zu verschieben. Mir schwant: Bald werde ich mehr Zeit, als mir vielleicht lieb ist, für die Kinderbe- treuung haben. Allmählich bin ich im „Krisenmodus“ 15. März: Übers Wochenende dachte ich intensiv darüber nach, wie ich einen Teil meiner Trainings- und Beratungsleistun- gen digitalisieren kann, auch weil ich registrierte: Meine Frau Nikola, die pri- mär als Coach arbeitet, hat im Gegensatz zu mir keine Auftragsstornierungen. Im Gegenteil! Die Coaching-Anfragen schei- nen coronabedingt sogar zu steigen. Der Grund: Sie coacht primär Einzelpersonen und Paare – und diese häufig auch per Te- lefon sowie mit solchen Tools wie Teams, Facetime und Zoom. Diese Arbeitsform ist deshalb weder für sie noch für ihre Klienten neu. Auch ich habe in den letz- ten Jahren schon „bei Bedarf“ Einzelcoa- chings per Telefon und Skype durchge- führt. Forciert habe ich dieses „Business“ aber nicht. Und inwieweit dies auch mit Gruppen klappt, was schließlich meine überwiegende Arbeit ausmacht, das muss ich noch herausfinden. Erste eigene Online-Produkte erblicken das Licht der Welt 16. März: Ich habe von der für Video­ konferenzen und Online-Trainings mit mehreren Teilnehmern benötigten Tech- nik noch wenig Ahnung. Also treffe ich mich mit einem befreundeten IT-Dienst- leister und lasse mich von ihm beraten. Ich beauftrage ihn, das nötige Equipment für mein Büro zu besorgen, damit ich zu- mindest technisch einsatzfähig bin. Zeit- gleich entwerfe ich erste Konzepte, wie ich meine Angebote online durchführen könnte. Ich verspüre eine große Unsicher- heit. Und insbesondere nachts beschäfti- gen mich Fragen wie: Kann ich meine Familie vor „Corona“ schützen? Kann ich sie weiter so gut wie in den letzten Jah- ren versorgen? Der intensive Austausch mit meiner Frau (beziehungsweise ihr Coaching) hilft mir sehr, mich meinen Ängsten zu stellen und die notwendigen Veränderungen anzupacken. 17. März: Ich konnte kurzfristig einige befreundete Manager und Unternehmer dafür gewinnen, mit mir angedachte künftige Formate meiner Arbeit und die Konferenztechnik in „Live-Online-Ses- sions“ auszuprobieren. Ich will heraus- finden, ob ich die Qualität meiner Arbeit auch „online“ halten kann, bevor ich diese Angebote meinen Kunden unter- breite. Es folgen drei arbeitsreiche Tage. Dann klappt der Umgang mit der Technik und ich verspüre Sicherheit beim Online- Arbeiten. Das Fazit meiner Feedbackpart- ner lautet: „Es ist ungewohnt, doch über- raschend, wie gut Training und Beratung über dieses Medium funktionieren.“ Völ- lig platt falle ich ins Bett. 20. März: Meine ersten Online-Produkte stehen, auch ihre Beschreibungen sind weitgehend formuliert. Aber auf meiner Webseite findet man von meinen digita- len Angeboten noch keine Spur. Zudem weiß ich nicht, wie ich mit diesen außer meinen Stammkunden eventuell auch einige Neukunden erreiche. Also kon- taktiere ich Bernhard Kuntz von der Marketingagentur „Die Profilberater“ in Darmstadt. Nachdem ich mein Anliegen geschildert habe, erwidert Kuntz lachend: „Na, dann sind Sie vermutlich der einzige deutsche Berater, der die Krise tatsächlich als Chance nutzt. Die meisten reagieren auf die Auftragsstornos mit einem rigiden Cost-Cutting.“ Ob die Krise wirklich eine Chance für mich ist? 23. März: Der Bund und die Länder ei- nigen sich auf strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Der sogenannte Lockdown beginnt. Millionen Deutsche werden über Nacht Kurzarbeiter. Andere sind nur noch im Homeoffice tätig. Ich bin froh, dass meine Frau und ich in den letzten Jahren einige Euro zur Seite ge- legt haben: Hungern werden wir in den nächsten Monaten nicht. Das ist beruhi- gend. 25. März: Ein schon länger geplanter Ter- min für ein Team-Coaching findet erst-

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