Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
training und coaching 38 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 signifikant besser eingeschätzt werden können, wenn man ausschließlich die Stimme hört. „Besser“ bedeutet in die- sem Zusammenhang, dass das Fremdbild näher am Selbstbild der zu beurteilenden Person liegt. Allerdings sind die Effekte in allen Experimenten absolut gesehen klein. Dennoch sind die Ergebnisse na- türlich überraschend. Ihre Übertragung auf ein Coaching-Gespräch hält der Psy- chologe Uwe P. Kanning jedoch für mehr als fragwürdig. Im Coaching gehe es um ein vertrauensvolles Gespräch zwischen zwei Menschen, bei dem man konkrete Probleme angehe und bei dem sicher auch Emotionen eine Rolle spielen, so der Professor an der Hochschule Osnabrück. Doch die könnten beide Seiten – anders als in den Experimenten – auch einfach thematisieren. „The Next We“ arbeitet derzeit mit 70 Coachs zusammen. „Die haben alle eine Ausbildung zum Business Coach oder in kognitiver Therapie“, erklärt Chef- psychologin Kaupp. Zudem bekämen sie eine dreimonatige Ausbildung mit Präsenz- und Onlineschulung, Übungen und Supervision bei den Telefonaten. Die Kosten dafür übernimmt „The Next We“. Gegründet wurde das Start-up 2017 von der ehemalige Deutschlandchefin von Kentucky Fried Chicken, Insa Klasing, zu- sammen mit ihrem Bruder Klaas Klasing und der befreundeten Psychologin Anke Kaupp. Angeboten wird ein Leadership Coaching. Inzwischen gehe es dabei aber häufig um das Thema digitale Transfor- mation, so Kaupp. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Berlin und laut Auskunft von COO Markus Nees über 50 Kunden vom Start-up über den Mittelstand bis hin zum Dax-Konzern. Bei der Recherche zeigte sich jedoch, dass sich einige Unter- nehmen erst in der Pilotphase befinden und daher noch nicht darüber sprechen wollen. Pilotprojekt Pharmakonzern P&G-Personalmanager Brenner ist dage- gen bereits zufrieden mit dem Pilotpro- jekt. Rund zehn Teilnehmer aus verschie- denen Funktionen wie Verkauf oder Lo- gistik hätten das Pilotprojekt durchlaufen. Die Rückmeldungen seien gut gewesen. Auch, dass man den Coach nie persönlich gesehen oder getroffen habe, sei kein Pro- blem gewesen. Allerdings sei Coaching bei P&G schon immer positiv als Weiter- bildungsmaßnahme besetzt gewesen. Da sei es leichter, Mitarbeiter dafür zu ge- winnen. Das Ziel sei zwar gewesen, agiler zu werden, aber das Coaching laufe stets individuell ab. „Jeder Mitarbeiter muss für sich herausfinden, wo seine Barriere ist“, sagt Brenner. Bei einem Mitarbeiter könne die Ablehnung von Agilität zum Beispiel in der Angst vor Kontrollverlust begründet sein. Dann sei es das Ziel, ihn davon zu überzeugen, dass es gar nicht um Kontrolle geht. Auch Mathias Finkele, Sales Director Car- diovascular Retail Internal Medicine bei der Pfizer Biopharmaceutical Group ist zufrieden. Als Pharmakonzern sei man zwar sehr stark an den Möglichkeiten der Digitalisierung interessiert, stehe aber wie alle Unternehmen bei der Umsetzung durchaus vor Herausforderungen. Daher habe man ein Pilotprojekt mit zehn frei- wiligen Führungskräften zu „Digital Lea- dership” durchgeführt. Ein Thema war, dass manche Pharmareferenten dem Arzt bis vor Kurzem noch zu selten zwi- schen den Besuchsterminen E-Mails etwa zu neuen Studien geschickt haben, um ihm so weitere Informationen zu geben und den Kontakt zu halten. „Im Schnitt hat ein Pharmareferent nur drei Minu- ten beim Arzt und das ist zu wenig, um ihm komplexe Studien zu erklären“, so Finkele. Zur Unterstützung der Kollegen habe man standardisierte E-Mails vorbe- reitet (das muss so sein, damit diese Form der Kundeninteraktion dem Heilmittel- werbegesetz genügt), aber trotzdem stieg die Zahl der verschickten E-Mails nicht an. Die Frage war daher, wie eine Füh- rungskraft mit so einer Situation umge- hen solle. Dabei habe man zwei Zielaussagen for- muliert: Die Führungskräfte sollen sowohl die positiven Treiber ihrer Mitarbeiter nut- zen als auch bewusst und individuell auf die Bremsen in ihrem Kopf eingehen kön- nen. Und sie sollen sich selbst sicher im digitalen Umfeld fühlen und neben den notwendigen technischen Skills auch die Denkprozesse ihrer Mitarbeiter auf dem Schirm haben. In dem Pilotprojekt „Digi- tal Leadership” gab es zunächst einen ge- meinsamen Workshop aller Teilnehmer, zu denen Regionalleiter im Außendienst mit ihren jeweils acht bis 15 Mitarbeitern gehörten. Danach hat jede Führungskraft mit ihrem Coach von „The Next We“ wei- tergearbeitet und für sich selbst und ihr Team individuelle Ziele definiert. „Wir haben eine Nullerhebung gemacht, wäh- rend des Coachings Feedback eingeholt, eine Enderhebung und einen Abschluss- workshop durchgeführt und dabei eine si- gnifikant positive Entwicklung gesehen“, so Finkele. Daher wolle man das Ange- bot ausweiten. Bisher konnten sich die Führungskräfte freiwillig melden, um das Coaching auszuprobieren. „Da tut man sich leichter, Dinge einfach mal anzuneh- men“, so der Verkaufsdirektor. Künftig sollen alle Führungskräfte das Coaching durchlaufen. Kosten-Nutzen-Verhältnis „Digitale Kanäle sind zusätzliche Kanäle, die wir für die Kundeninteraktion nutzen wollen“, sagt Finkele, der früher Perso- nalleiter bei Pfizer war. Gerade durch die täglichen Aufgaben über die Coaching- App von „The Next We“ werde das Com- mitment der Kollegen sichergestellt und es entstehe eine gewisse Verpflichtung, am Thema dranzubleiben. „Das ist ein- fach stringenter, als wenn man sich nur alle drei Monate mit dem Coach trifft“, so der Außendienstleiter. Man müsse künftig einen guten Mix finden: Welches Thema lässt sich gut online bearbeiten, wo braucht es einen persönlichen Coach. Das Online-Coaching sei ein guter Weg, um einer größeren Gruppe von Mitarbei- tern ein Coaching zu ermöglichen – dabei müsse man natürlich auch ein ausgewo- genes Kosten-Nutzen-Verhältnis im Blick behalten. Dass das Online-Coaching einen erheb- lichen Kostenvorteil bringt, sieht P&G Personalleiter Brenner nicht: „Das ist kein Mega-Discount.“ Die Preise seien viel- leicht etwas günstiger als beim Präsenz- coaching. Den großen Vorteil sieht auch er in der Möglichkeit, relativ schnell viele Mitarbeiter coachen zu können. Brenner: „Wenn sie ein Leadership-Team haben und im nächsten Monat hundert Coachs brauchen, um Impulse zu setzen, dann machen die das.“ Bärbel Schwertfeger R
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