Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 37 men gemeinsam erarbeitet und sei dann für jeden Mitarbeiter relevant. „Ohne die Einbeziehung der Mitarbeiter wird zum Beispiel die Digitalisierung des Verkaufs- prozesses im Unternehmen nicht nach- haltig erfolgreich sein“, erklärt der COO. Mit dem Coaching werde der Mitarbeiter dabei unterstützt, eine andere Sicht auf das Thema zu gewinnen. So hätten man- che beim Thema Digitalisierung negative Empfindungen, weil sie zum Beispiel befürchteten, ihr Job falle dadurch weg. Im Coaching gehe es darum, genau zu hinterfragen, warum sie so dächten und wie sie für sich eine andere Sichtweise erarbeiten könnten. Wer eher sicherheits- orientiert sei, könne zu der Überzeugung kommen, dass Digitalisierung seinen Job sogar absichere, wenn er sich entspre- chend weiterentwickle. Wer eher chan- cenorientiert ticke, der erkenne, dass sie ihm neue Chancen eröffne. Kognitive Umstrukturierung Die Methode, mit der „The Next We“ arbeitet, basiert auf der kognitiven Um- strukturierung, einem von Albert Ellis entwickelten psychotherapeutischen Ansatz. Der amerikanische Psychologe und Psychotherapeut, der zunächst tie- fenpsychologisch arbeitete, stellte da- mals die Positionen der Psychoanalyse zunehmend infrage und entwickelte in den 1950er-Jahren die Rational-Emotive Therapie, die später zur Rational-Emotive Verhaltenstherapie wurde und heute zu den kognitiven Verhaltenstherapien ge- hört. Danach wird ein Mensch durch seine Einstellungen blockiert und daran gehindert, seine Ziele zu erreichen. Diese Einstellungen werden auch irratio- nale Überzeugungen genannt, wie etwa „Ich muss immer perfekt sein“. Emotio- nale Störungen werden daher als Ergeb- nis kognitiver Prozesse betrachtet, getreu dem Motto: Es sind nicht die Dinge, die den Menschen beunruhigen, sondern seine Vorstellungen davon. Die Thera- pie setzt daher auf der kognitiven Ebene an, indem sie diese oft irrationalen und behindernden Einstellungen im Dialog bewusst macht und verändert. „Es geht um die Veränderung des Denkens“, sagt Anke Kaupp, die als Diplom-Psychologin eine Weiterbildung in rational-emotiver Verhaltenstherapie bei Albert Ellis in New York gemacht hat und als Chief Psy- chologist bei „The Next We“ fungiert. Dazu nennt die Psychotherapeutin, die zudem ein psychologisches Institut für Therapie, Coaching und Neurofeedback in Stuttgart und Schorndorf betreibt, ein Beispiel: Eine Führungskraft möchte ihre Performance verbessern, schafft das aber nicht, weil sie fast alles allein macht und Probleme mit dem Delegieren hat. Da werde erst einmal erarbeitet, welche Überzeugung dahinterstehe („Nur wenn ich es selbst mache, ist es so, wie ich es möchte“). Dann werde das neue Mindset genauer herausgearbeitet („Eine bessere Performance bekomme ich nur, wenn ich andere mit ins Boot hole“), visuali- siert und formuliert („Mein Team ist das Sprungbrett zum Erfolg“). Das neue Mindset werde dann auf ver- schiedene Arten verankert, so die Psycho- therapeutin, deren Hauptarbeitsfeld Men- schen mit ADHS und Hochbegabte sind. Zum Beispiel mit kleinen Legomännchen auf dem Sprungbrett auf dem Schreib- tisch oder dem Bildschirmschoner oder mit dem mit Lippenstift auf den Bade- zimmerspiegel geschriebenen Leitspruch. „Man muss sich das neue Mindset immer wieder bewusst machen“, so Kaupp. Als Coach frage sie daher immer wieder nach, wo ihr Klient die neue Denkweise verankert und wo er sie bereits erfolg- reich umgesetzt habe. So strukturiert ist der Ablauf Doch klingt das nicht ein bisschen nach „einer Art von Gehirnwäsche“, wenn ein Unternehmen die Denkweise ihrer Mitarbeiter in die gewünschte Richtung verändern will? „Nein, wir stülpen kei- nem ein Mindset über“, betont die Psy- chologin. Doch wenn sich ein Mitarbeiter demWandel versperre, mache das beiden Seiten zu schaffen. Es gehe daher darum, einen Modus zu finden, in dem der Ein- zelne produktiver sein könne und wo sein persönlicher Spielraum sei, damit er sich dabei wohlfühle. Bei der digitalen Trans- formation gehe es darum, den besten Boden für die Projekte zu bereiten und dazu gehöre es eben auch, dass das Den- ken des Mitarbeiters nicht den Erfolg des Projekts behindert. Das Zwölf-Wochen-Programm erfolgt nach einem strukturierten Ablauf. In der ersten Woche wird der Status quo erar- beitet und das Ziel besprochen. In der zweiten und dritten Woche schaut man sich die Mindsets an und erarbeitet neue Denkmuster. Die werden dann in der vierten Woche verankert und es wird ein Aktionsplan mit Aufgaben erarbeitet, die der Mitarbeiter am Arbeitsplatz bearbei- ten muss. In der siebten Woche gibt es einen Zwischenstand, gefolgt von einem weiteren Aktionsplan. Nach zwölf Wo- chen folgt das Abschlussgespräch. Zwi- schen den Telefonaten schaue sie als Coach regelmäßig morgens und dann vielleicht noch zweimal Mal am Tag in ihre App, um zu sehen, wer sich gemel- det hat oder wer vielleicht noch eine Erin- nerung braucht, so Kaupp. Telefon-Coaching bevorzugt Im Standardprogramm sind die sechs ein- stündigen Telefonate Pflicht. Allerdings könnten Unternehmen das Programm auch beliebig anpassen und ihren Mit- arbeitern das Telefon-Coaching zum Bei- spiel auch je nach Bedarf anbieten. „Sie müssen es dann 24 Stunden vorher an- melden“, so die Mitgründerin von „The Next We“. Auf die Frage, warum man ausschließ- lich Telefonate und nicht auch Videoge- spräche einsetzt, erklärt COO Nees. „Wir arbeiten mit einer kognitiven Coaching- Methode, die sehr auf das eigene Denken und Hinterfragen eigener Vorbehalte fo- kussiert.“ Dabei habe man die Erfahrung gemacht, dass sich der Teilnehmer durch die rein telefonische Nutzung besser auf das Gesagte konzentriert, ohne Ablen- kung auf andere „Reize“. Dafür gebe es auch wissenschaftliche Belege. Bei der vorgelegten Studie von Michael W. Kraus von der Yale School of Manage- ment geht es um mehrere Experimente aus der Grundlagenforschung, bei denen untersucht wurde, ob man die Emotio- nen eines Fremden besser einschätzen kann, wenn man ausschließlich dessen Stimme in einem Gespräch hört und keine zusätzlichen visuellen Eindrücke hat. Dabei waren die Beobachter meist nicht selbst an den Gesprächen beteiligt. Dabei zeigte sich, dass die Emotionen R
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