Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 35 verändert vordergründig zunächst dessen Austauschprozesse. Viel tiefgründiger und umfassender sind jedoch die damit einhergehenden Veränderungen der Pro- dukte und Dienstleistungen und auch des Erlebens und Verhaltens der Anbieter und Nachfrager: • Warum sollte man sich noch auf den Weg machen und zu einem Coach in die Praxis fahren, wenn es doch viel be- quemer und sicherer ist, das Coaching via Smartphone ins Büro zu holen? • Warum sollte ich noch Praxisräume vorhalten, wenn meine Kunden nur noch Coaching am Bildschirm buchen? • Warum sollte ich mir Gedanken ma- chen, welcher Coach zu mir passt und was ich im Coaching konkret bearbei- ten will, wenn mir ein Algorithmus, den zu mir und meinem Anliegen pas- senden Coach vorschlägt? • Wie schaffe ich es als Coach, dass ich am Ende eine gute Bewertung be- komme? • Wie gehe ich als Coach mit Erfolgsver- sprechen der Plattformen und Erfolgs- erwartungen der Klienten um? • Wie gehe ich mit der Dokumentations- und Datensammelwut der Plattformen um? • Wie flexibel lassen sich Coaching-Pro- zesse im Rahmen der Plattformenvor- gaben gestalten? • Welche Folgen hat das Plattformcoa- ching für die Methodenvielfalt der Coachs? • Was bedeutet es für meine professio- nelle Identität in Abhängigkeit von di- gitalen Plattformen zu arbeiten? • Wie wirken sich die Plattformen auf die Honorare aus, die die Coachs bekom- men, und auf die, welche die Kunden bereit sind zu zahlen? • Wie kann ich für mich und meine Kli- enten Vertrauen in die Plattform auf- bauen? • Wie seriös, erfahren und qualifiziert sind die auf den Plattformen gelisteten Coachs? • Welchen Wert haben plattformeigene Qualifikationszertifikate für (Business-) Coachs? Obige Tabelle zeigt die unterschiedlichen Logiken der beiden Felder, Coaching und digitale Plattformen, noch einmal zuge- spitzt. Sie verdeutlicht, dass beim Handel mit Coaching auf Basis einer Internet- plattform diverse Spannungsfelder zutage treten. Es ist jetzt schon sichtbar, wie sich Coaching durch den Einfluss der Plattfor- men und dem Digitalisierungsdruck ver- ändern wird. Veränderungen kommen Langfristig ist abzusehen, dass sich der Coachingmarkt in wenigstens zwei große Bereiche aufteilen wird. Durch die Wir- kung der Plattformen werden sich zum einen schnell und einfach zugängliche, günstige und pragmatische „Massen“- Coachingangebote etablieren, welche on-demand und on-the-job für einfache Fragestellungen im (Organisations-)Alltag ein zweckmäßiges Angebot darstellen. Auf der anderen Seite werden sich im Kontrast dazu, spezifische, methodisch ausgearbeitete, exklusive und hochprei- sige analoge Angebote halten und wei- terentwickeln, die sich an ausgewählte Zielgruppen richten. Dieses Phänomen der aussterbenden Mitte ist ja nicht nur ein gesellschaftliches Phänomen, das sich in der Differenzierung der Gesellschaft in eine bildungsferne Unterschicht und eine kulturelle Elite bei einer gleichzeitig immer kleiner werdenden klassischen Mittelschicht zeigt. In allen digitalisierten Branchen ist dieser Prozess ebenfalls be- obachtbar. Amazon versus dem kleinen, spezialisierten, persönlichen Buchladen im Kiez, Spotify versus Plattenladen mit Schätzen auf Vinyl, Netflix versus Pro- grammkino. Betrachtet man diese Entwicklungen, hängt die Zukunft des professionellen Coachings wesentlich davon ab, inwie- weit die etablierten Coachingverbände in Deutschland, aber auch global, bei diesem Thema zusammenarbeiten und gemeinsam mit den Coachingplattformen das Coachingfeld gestalten. Die zersplitterte Verbandslandschaft in Deutschland gibt dabei kein gutes Bild ab und stellt somit für die Coachingplattfor- men weder einen attraktiven noch einen ernstzunehmenden Kooperationspartner dar. Um die Coachs selbst muss man sich dabei keine Sorgen machen, denn diese werden sicher ihre Nischen finden und passende Angebote entwickeln, um ihre Existenz zu sichern. Sorgen mache ich mir vielmehr um das Coaching, das auf den Weg zu einer anerkannten und etab- lierten Profession, den es vor gut 20 Jah- ren eingeschlagen hat, wohl nicht mehr so einfach zurückfinden wird. Thomas Bachmann Coaching Plattformlogik Positionierung Unabhängigkeit Abhängigkeit Fokus Klient User Arbeitsform Kunsthandwerk Industrie Marketing Sichtbarkeit Verkaufen Wesenskern Intersubjektivität Algorithmisierung Austauschprozess Honorar ROI Beziehungsqualität Vertraulichkeit Datensammlung Selbstverständnis Profession Dienstleistung Interaktion Co-Kreation Prozessablauf Prozess Vertrauen Kontrolle Transparenz Schutzraum Tracking Die Logik der Plattformen Analyse. Diese Unterschiede zwischen der Logik des bisherigen Coachings und der Logik einer digitalen Plattform sollten alle Marktteilnehmer kennen, um die Disruption zu begreifen.
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