Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020

training und coaching 34 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 auch über „Sharpist“ schreibt die Presse wie zum Beispiel das „VC-Magazin“ (2019): „Btov Partners steigt bei dem Berliner Start-up ein. Außerdem beteiligt sich APX, der Investor und Accelerator von Axel Springer und Porsche. Zudem engagieren sich mehrere reiche Business Angels.“ Das Set-up ist eindeutig. Hier ist niemand angetreten, um Coaching zu professionalisieren oder Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Hier geht es darum, eingesetztes Kapital er- tragreich anzulegen. Die Logik digitaler Plattformen Was bedeuten diese Entwicklungen für das Coaching? Ein Blick in andere Bran- chen könnte da aufschlussreich sein. Doch vorher ist es sinnvoll, sich mit dem vertraut zu machen, was man Plattform- logik nennen kann: Wenn digitale Platt- formen geschaffen werden, disruptieren sie bestehende Märkte. Man könnte auch sagen, dass das ihr eigentlicher Zweck ist. Die Plattform schiebt sich dabei zwischen Anbieter und Nachfrager eines Produkts oder einer Dienstleistung, ohne selbst Produkte zu besitzen oder die Dienstleis- tung erbringen zu können. Sie schließt le- diglich die Lücke von „Pain to Gain“ zwi- schen Anbietern und Nachfragern. Dabei wird für die beteiligten Akteure irgendet- was erst einmal einfacher, schneller und auch kostengünstiger. Die wesentlichen Leistungen der Platt- formen sind Suchen und Finden, Mat- chen, Bewerten, Optimieren, Prozessab- wicklungen, nutzerspezifische Angebote sowie Datengenerierung für weiterfüh- rende Aktivitäten. Wenn sich Plattformen etablieren, erfolgt dies nach dem immer- gleichen Muster: Zunächst muss eine kri- tische Masse aus Angebot und Nachfrage in Form von Nutzern generiert werden, damit die Plattform funktionsfähig wird. Dabei wird meist mit Produkten aus einer spezifischen Nische begonnen (bei Za- lando waren das zum Beispiel Flipflops). Oftmals geht es auch gar nicht um Qua- lität oder guten Service, sondern darum, zunächst einmal mit einem leicht zu digitalisierenden Angebot in den Markt einzudringen. Dann geht es darum, Re- ferenzen zu generieren. Wichtige Ko- operationen (bei „Coachhub“ ist es der Verband ICF), prominente Kunden und Anbieter, Influencer sowie eine große Prä- senz durch Werbung auf analogen und digitalen Kanälen sind dabei die wich- tigsten Werkzeuge. In ihrer Entstehungs- phase sind Plattformen dabei noch stark auf Kooperationen mit anderen in ihrem Marktsegment angewiesen und jeder einzelne muss noch mühsam im persön- lichen Gespräch zum Mitmachen über- redet werden. Diese Abhängigkeit kehrt sich schließlich um, wenn das Wachstum und damit die Dominanz einer Plattform in ihrer Branche deutlich zunimmt. Schließlich entsteht in der zweiten Phase eine Sogwirkung, wie wir sie derzeit im Coachingmarkt beobachten können. Der soziale Druck, mit den Plattformen zu- sammenzuarbeiten, nimmt zu. Es wird als Anbieter immer schwieriger unabhän- gig zu bleiben und für Kunden wird es immer schwieriger, das gesuchte Produkt auch außerhalb der Plattformen zu fin- den. Dies zeigt sich sehr eindrücklich in der Musikbranche oder bei Hotels und Ferienwohnungen. Ein Zugang zu diesem Markt, egal ob Anbieter oder Nachfra- ger, wird ohne Spotify oder Booking.com immer schwieriger. Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch die exzessive Ausdehnung der Plattform, sowohl hinsichtlich der angebotenen Leistungen, Services und Branchen als auch des geografischen Wirkungsfelds. Plattformen zerstören Diese Entwicklungsdynamik und die da- hinterstehenden Kapitalquellen zeigen deutlich, dass die Logik der Plattform und die Logik ihrer Produkte oder Leistungen meist zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Daher wird es auch niemals das pri- märe Interesse der Plattformen sein, die Produkte zu verbessern, weiterzuentwi- ckeln oder ethischen Gesichtspunkten zu unterwerfen, und wenn dann nur, wenn es ihren Interessen dient. Die Gestaltung des Angebots und der Produkte geschieht im Wesentlichen in- direkt durch plattformeigene Prozesse wie Nutzerbewertungen, Rangplätze, algorithmisierte Vorschläge, einige ex- terne Requirements, Kampagnen, Preise und Nachfrage. Stehen die Interessen der Plattformen mit den Eigenheiten der Produkte und Dienstleistungen bezie- hungsweise bestimmten Bedürfnissen der Nutzer im Widerspruch, kommen die Plattformen deren Wünschen oder denen staatlicher und gesellschaftlicher Instituti- onen wie Berufsverbänden oder Verbrau- chervertretungen nur soweit entgegen, wie das eigene Geschäftsmodell nicht ge- fährdet wird. Diskussionen um gefälschte Produkte und Rezensionen bei Amazon, „Fake News“ und Hassbotschaften auf Facebook oder nicht angemeldete Feri- enwohnungen auf Airbnb sind bekannte Beispiele, die von den geringen Möglich- keiten der Einflussnahme und Intranspa- renz zeugen, ganz zu schweigen von der Datensicherheit (Cambridge Analytics) und Steuervermeidung (multinational agierende Plattformen). Folgt man diesen Ausführungen, ist es also nicht zu erwarten, dass es das vor- rangige Interesse der Coachingplattfor- men ist, Coaching zu professionalisieren und unter Wahrung von Qualitäts- und Ethikstandards, wie sie von den Coa- chingverbänden formuliert werden, weiterzuentwickeln. Wahrscheinlicher ist, dass Coaching als Plattformware so geformt wird, dass es im Rahmen der Plattformlogik den Erfolg derselben er- möglicht. Die Disruption eines Markts R Dr. Thomas Bachmann ist Diplom-Psy- chologe und Grün- dungsmitglied und Partner der Artop GmbH. Seit 1993 arbeitet er als Berater, Trainer und Coach und seit 2001 ist er Lehrtrainer für Coachs und Berater. Er ist Senior- Coach im Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC) und Professional Certified Coach (PCC) und Mitglied der Ethikkommission der International Coaching Federation (ICF) und Mithe­ rausgeber der Zeitschrift OSC. Artop GmbH, Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin Christburger Str. 4, D-10405 Berlin Tel. 0049(0)30 4401299-0 www.artop.de AUTOR

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