Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020

R wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 33 und auch das Feedback oder die Kritik, wenn es mal nicht so gut läuft. Die Coaching-Plattformen mit ihren Qua- litätsversprechen nehmen uns all die lästi- gen Aufgaben ab, sodass wir, die Klienten und Coachs, uns ganz auf das Wesentli- che konzentrieren können, nämlich das Coaching. Das trifft für Organisationen noch viel mehr zu als für selbstzahlende Privatklienten. Der Aufbau eines Coach- Pools, die Etablierung von komplizierten Prozessen der Auswahl, des Ablaufs, der Steuerung und der Evaluation von Coa- ching können kostengünstig ausgelagert werden wie das Kantinenessen oder die Büroreinigung. Mit einem Coaching-Kontingent für alle Führungskräfte der Organisation, bei dem alle ein paar Stunden im Monat bekom- men, ist Coaching schnell in jeder Orga- nisation implementiert. Und alle können Coaching bekommen, wenn er oder sie und die Organisation es wollen. Endlich ist Coaching nicht mehr nur ein exklu- sives Format für die Organisationseliten. Außerdem kann man via Plattform noch ein paar strategische Ziele in die Coa- ching-Prozesse einsteuern und obendrein gibt es noch Daten, zum Beispiel wieviel Coaching von wem, wann, wie lange und zu welchen Themen in Anspruch genom- men wurde, die man dann der Vorstands- etage präsentieren kann, falls es dort je- manden interessiert. Coachs orientieren sich an den anderen Coachs Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass alles sehr viel komplizierter ist. Ak- tuellen Studien zufolge zeigt die Mehr- heit der praktizierenden Coachs kein intrinsisch motiviertes Interesse daran, Coaching über digitale Plattformen anzu- bieten und durchzuführen. Tiefergehende Analysen zeigen, dass die Nutzungs- bereitschaft bei Coachs und HR-Verant- wortlichen weniger durch die positive Einstellung zu diesen technischen Mög- lichkeiten hervorgerufen wird, sondern vor allem und ausschließlich signifikant durch die „soziale Norm“. Das bedeutet, dass die Entscheidung, ob ich als Coach mit digitalen Plattformen arbeite oder nicht, nicht darauf beruht, ob ich es sinnvoll finde oder nicht, son- dern im Wesentlichen dadurch zustande kommt, dass ich mich an meinem Um- feld, also an anderen Coachs orientiere. Bei HR-Verantwortlichen gibt es übrigens das gleiche Bild. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie hat sich der Druck, analoge Angebote in die digitale Welt zu verlagern, noch einmal extrem erhöht. Anbieter für Online-Kurse zum Online-Trainer, zum Online-Mode- rator oder Online-Coach haben plötzlich Hochkonjunktur. Webinare und Live-On- line-Trainings entstehen über Nacht und Coachings finden immer häufiger über Videoplattformen statt. Die Vorteile des Digitalen werden noch einmal um einen wesentlichen Punkt erweitert, der bisher als dessen größter Nachteil galt: Es finden keine direkten (körperlichen) Kontakte mehr statt. Man sitzt nicht mehr im glei- chen Raum. Coaching wird asozial. Coaching wird „asozial“ Viele gehen davon aus, dass die Wirt- schaft und wahrscheinlich auch unsere Gesellschaft nach der Corona-Krise eine andere sein wird. Was man jetzt schon absehen kann, ist, dass digitale Angebote zu den Gewinnern dieser Krise zählen werden, wobei Netflix wahrscheinlich die Charts anführen wird. Vieles wird deut- lich schneller transformiert werden, als es vor der Krise ohnehin schon der Fall war. Und dieser Prozess wird sich danach nicht einfach wieder rückgängig machen lassen. Anbieter analoger Angebote wer- den zum Teil verschwunden sein oder analoge Ressourcen wie etwa Beratungs- räume aufgegeben haben. Andere haben sich und ihr Angebot so verändert, dass es keinen Sinn mehr ergäbe, wieder in den alten Modus zurückzuschalten. Viel stärker wird jedoch der kunden­ seitige Einfluss sein. Einmal daran ge- wöhnt, dass Angebote wie Coaching und Training auch online funktionieren, werden viele den Aufwand scheuen, der für eine Face-to-Face-Begegnung nötig ist. Selbstverständlich stecken in diesen Entwicklungen auch jede Menge Chan- cen, die jedoch momentan noch nicht für jede und jeden erkennbar sind, da noch überwiegend im Überforderungsmodus agiert wird. Die digitalen Coaching-Platt- formen wittern derweil mehr und mehr ihre Chance und versuchen, das Geschäft mit verschiedenen Krisenangeboten aus- zubauen. Die Anzahl der Coachingplattformen nahm in den letzten Jahren stetig zu, fast im Wochentakt bekamen Coachs An- fragen von Plattformen, sich auf diesen listen zu lassen, und HR-Verantwortliche wurden mit Plattformangeboten für Coa- ching (und noch für viele andere digitale HR-Angebote) überhäuft. Die Liste wurde immer länger: Coachhub, Bettercoach, Liftup und Uplift, Sharpist, Coachnow, Betterup, Coachaccountable, Coachfox, Xing Coaches & Trainer heißen einige von ihnen. Hin und wieder sind sie auch auf Linkedin anzutreffen, wenn wieder stolz verkündet wird, dass Investorenmillionen eingeworben wurden. Beobachter der Szene sind gespannt, wel- che Plattformen am Ende das Rennen ma- chen werden. Dabei geht es wie immer nicht um das Produkt, also um das Coa- ching, sondern darum, im Wettlauf mit den anderen genug Kapital zu akquirie- ren, was wiederum mit hoher Marktprä- senz und einem großen Kundenstamm an Coachinganbietern und Coaching- nachfragern einhergeht. Dabei werden sich die Plattformen durchsetzen, die das Geschäft mit dem Coaching und nicht das Coachinggeschäft (das ist ein Unter- schied) am besten verstanden haben. Ei- nige Plattformen mussten schon wieder aufgeben oder dümpeln bedeutungslos dahin. Plattformen sammeln Millionen ein Andere sammeln erfolgreich Investoren- kapital ein. Ein Zitat aus der „Wirtschafts- woche“ (2.11.2019) zu „Coachhub“ lau- tet: „Vor drei Monaten erst hat das Ber- liner Start-up … von Investoren sechs Millionen Euro erhalten. Nun kommen noch einmal zehn Millionen hinzu, wie das erst im vergangenen Jahr gegründete Unternehmen heute mitteilte. Neu im Kreis der Gesellschafter ist demnach der russische Frühphaseninvestor RTP Glo- bal, der unter anderem auch am Kunden- service-Automatisierer E-Bot7 beteiligt ist. Frisches Kapital kommt zudem von den Bestandsinvestoren HV Holtzbrinck Ventures, Partech und Speedinvest.“ Und

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