Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020

personal- und organisationsentwicklung 26 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 Klienten – zum Beispiel der Gegebenhei- ten in der Organisation, in die der Klient eingebunden ist. Im Lösungsfokussierten Ansatz kommt der Kontextbezug dagegen durch den Klienten in das Coaching, aber nicht zwingend durch den Coach. Der Coach bleibt vollkommen neutral in der Betrachtung der Situation des Klienten und unterstützt diesen lediglich durch möglichst wertfreie Fragen in der Explo- ration seiner gewünschten Zukunft und seinen vorhandenen Ressourcen. Dass all dies nicht nur Wunschden- ken der Praktiker ist, zeigen erstaunlich viele Studien zum Lösungsfokussierten Ansatz. Dr. Alasdair MacDonald (2017) hat eine Übersicht zur Studienlage zu- sammenzutragen. Er berichtet von zehn Metastudien und 325 Ergebnisevalua- tionsstudien inklusive 143 Studien mit randomisierten Kontrollgruppen. Diese Studien zeigen die Wirksamkeit des Lö- sungsfokussierten Ansatzes auf. Grund- sätzlich kann man viele Studienergeb- nisse zusammenfassen, indem man sagt, dass der Lösungsfokussierte Ansatz ebenso zum Erfolg führt wie andere An- sätze, aber dafür deutlich weniger Zeit beziehungsweise Sitzungen braucht. Die Fokussierung auf die Zukunft bedeu- tet allerdings nicht, dass im Lösungsfo- kussierten Ansatz nicht über Probleme gesprochen werden darf. Dazu ist der Lei- densdruck vieler Klienten häufig zu groß. Oft ist es sogar sehr wichtig, dass der Leidensdruck und die aktuellen Coping- Strategien explizit vom Coach anerkannt werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Coach versucht, das Problem zu verstehen, oder in das Problem hinein­ fragt. Der Coach braucht daher weder monokausale noch multikausale (syste- mische) Hypothesen über die Ursachen des Problems, um den Klienten zu unter- stützen. Das Erkunden des Problems und der Ursachen ist zwingend notwendig in technischen Systemen. Wenn ein Motor defekt ist, muss ich herausfinden, wo die Ursache des Problems liegt, damit der Motor wieder läuft. Menschen funktio- nieren aber anders als Maschinen – seien sie trivial oder komplex. Dennoch wird oft dieses aus einem biomechanistischen oder auch kybernetischen Verständnis stammende Weltbild auf die Arbeit mit Menschen übertragen. In der Praxis zeigt sich sogar, dass die erwünschte Zukunft nur wenig mit dem Problem zu tun hat, welches der Anlass für den Besuch beim Coach war. Je klarer man sich über die erwünschte Zukunft ist, desto stärker ist die Veränderung der Sichtweise der Gegenwart. So tritt das ei- gentliche Problem (zum Beispiel „stören- der Mitarbeiter“) oft in den Hintergrund und der Fokus richtet sich auf das dahin- terliegende Ziel des Klienten („erfolgrei- che Führungskraft sein“). Durch den Fokus auf das Ziel (erfolgrei- che Führungskraft) ändert sich das ge- samte Coaching und wird dadurch leich- ter und konstruktiver (wofür uns auch der Mitarbeiter danken wird). Probleme spielen im Lösungsfokussierten Ansatz also eine Rolle mit Blick auf den Anlass des Coachings oder die Wertschätzung des Leidens und das Umgehen des Kli- enten mit der Situation. Für das Ergeb- nis des Coachings spielen sie dagegen eine untergeordnete Rolle. Zusätzlich, so ein (nicht nur) im Lösungsfokussier- ten Ansatz gängiger Standpunkt, sollten Unternehmen Coaching nicht als Repara- turdienstleistung für Probleme von Füh- rungskräften und Mitarbeitern ansehen. Vielmehr sollte Coaching für eine Form der Personalentwicklung stehen, die zu- künftige und gewünschte Entwicklungen unterstützt – und dafür braucht es eben kein Problem. Ist die „Wunderfrage“ über- haupt lösungsfokussiert? Dieser absolute Zukunftsfokus hat sich auch im Lösungsfokussierten Ansatz erst mit den Jahren weiterentwickelt. So ken- nen die meisten Coachs mit einer syste- mischen Ausbildung die „Wunderfrage“, neben den Skalenfragen der zweite Ex- portschlager der Lösungsfokussierung, die heute in fast keiner Coaching-Ausbil- dung fehlt. Die Wunderfrage hat so gute Dienste geleistet, dass sie eine Zeitlang als fester Standard in jedem Gespräch eingesetzt wurde. Allerdings braucht die Wunderfrage ein Problem, um zu funktio- nieren. Damit begrenzt sich die Wirksam- keit dieser Frage schnell auf den Bereich des Problems. Dies hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass sie heute seltener von Coachs des Lösungsfokussierten Ansat- zes eingesetzt wird. Sie wurde überholt von der sogenannten „Best Hope“-Frage oder eben von der Frage nach der er- wünschten Zukunft. Wieso heißt der Ansatz dann aber „Lö- sungsfokussiert“? Das hat historische Gründe: Die Forschergruppe in Palo Alto rund um John Weakland, Richard Fisch und Paul Watzlawick hatte 1974 einen Artikel mit dem Titel „Brief Therapy: Fo- cused Problem Resolution“ veröffentlicht. 1986 schrieben Steve de Shazer, Insoo Kim Berg, Eve Lipchick und andere einen weiteren Artikel, der sich auf den Artikel von Weakland bezog. Mit dem Titel des Artikels von de Shazer sollte deutlich gemacht werden, dass es einige Gemein- samkeiten in den Ansätzen gab, aber auch deutliche Unterschiede: „Brief The- rapy: Focused Solution Development“. So wurde der Name Solution Focused Ap- proach geboren. Auch wenn der Ansatz aus heutiger Sicht passender als „Preferred Future Approach“ bezeichnet worden wäre. Im deutschsprachigen Raum hat sich dann noch die Bezeichnung „Lösungsorientier- tes Arbeiten“ verbreitet und wurde zum Synonym für den Lösungsfokussierten Ansatz. Im Folgenden soll das Vorgehen des Lösungsfokussierten Ansatzes an- hand eines realen Beispiels verdeutlich werden. Dabei kann allgemein das Coa- ching in drei Kernphasen eingeteilt wer- den: 1. Ergebnis definieren und differenzieren 2. Ressourcen erkennen und entwickeln 3. Fortschritte erkennen und verstärken. Diese Kernphasen werden eingerahmt durch das Joining (Kontaktaufbau) am Beginn des Prozesses und dem Adjour- ning (für den Moment abschließen) am Ende des Prozesses. Im Folgenden wer- den die genannten Kernphasen anhand eines Coachings mit einer erfolgreichen Managerin beschrieben werden. Die Managerin kam aus eigenem Antrieb ins Coaching und suchte Hilfe, da sie in angespannten Situationen oft mit den Tränen kämpfte – und das nicht immer erfolgreich. Dabei waren ihre Tränen kein Ausdruck von Verzweiflung, Wut, Trauer oder Hilflosigkeit, sondern von Anspan- nung. Das führt immer wieder zu unan- genehmen Situationen für sie, aber auch für ihre Umgebung, da Tränen im Busi- R

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