Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 23 Nicht jeden Unsinn glauben Unter den Anhängern des Beratergurus Frédéric Laloux dürfte sich Patrick Vermeren mit seinem „Lexikon des HR- Unsinns“ (www.askepticshrdictionary.com) ke ine Freunde machen. Schließlich gilt das Laloux-Buch „Reinventing Organizations“ als die New-Work-Bibel und die Basis des Buchs bilden Ansätze wie „Spiral Dynamics“ und die „Integ rale Theorie“. Danach steigt die Welt und der Mensch in einer spiralförmigen Bewegung auf in höhere Bewusst- seinsebenen und die Berufenen transzendieren zu idealen Lebewesen. Vermeren ist dem auf den Grund gegangen und kommt zu dem Schluss: „Das Ganze ist eine naive Ide- ologie und eine totale Verleugnung der modernen Wissen- schaft und allem, was man über Biologie und die Evolution weiß.“ Dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Denn der Glaube an esoterischen Unsinn, unwissenschaftliche Persönlich- keitstests und fragwürdige Coaching-Methoden ist offen- bar leider bei vielen Vertretern der HR-Szene unerschütter- lich. Warum das so ist, erklärt der Autor aufschlussreich in seinem über eintausend Seiten dicken Buch. Er zeigt aber auch nachdrücklich, dass es viele seriöse HR-Tools gibt, die die Angebote der Scharlatane überflüssig machen. Mit unsinnigen Methoden und Instrumenten schmeißen Unternehmen jedoch nicht nur viel Geld aus dem Fenster, sie richten auch erheblichen Schaden an. Mitarbeiter wer- den wegen unseriöser Persönlichkeitsfragebögen nicht ein- gestellt oder in ihrer Karriere ausgebremst und so mancher verliert dadurch sein Selbstvertrauen und wird depressiv. Quacksalberei und Pseudowissenschaft im HR-Bereich könne genauso gefährlich sein wie in der Medizin, warnt der Buchautor und möchte daher seine Leser aufklären und aufrütteln. Statt auf fragwürdige Gurus und geschickte Buchtipp. Der belgische HR-Berater Patrick Vermeren hat es sich zur Aufgabe gemacht, Personalentwickler und HR-Manager vor „esoterischen“ Persönlichkeitstests und sonstigen PE-Tools zu warnen. Gleichzeitig stellt der TEDx-Speaker in seinem Buch auch viele nützliche, „evidenzbasierte“ HR-Werkzeuge vor. Verkäufer hereinzufallen, sollten sie sich an anerkannten Experten und wissenschaftlich fundierten Konzepten ori- entieren. Doch die muss man erst einmal kennen. Denn die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis ist groß und das vorhandene Wissen leider überall verstreut oder oft nicht frei zugänglich. Vermeren möchte die empirischen Erkennt- nisse daher für HR-Manager bündeln. Dafür hat er die Theorien, Modelle und ihre Derivate wie Persönlichkeits- fragebogen anhand von zwei Kriterien bewertet: nach ihrer theoretischen Fundierung und ihrer empirischen Evidenz. Welche Theorie liegt dem zugrunde? Ist sie überhaupt über- prüfbar? Welche methodisch seriösen Studien belegen die Theorie? Die Ergebnisse fasst er bei jedem Kapitel in einer Executive Summary zusammen. In seinem Buch entlarvt Vermeren 25 Mythen, darunter die Persönlichkeitsfragebogen MBTI und Insights Discovery, die neun Teamrollen von Meredith Belbin sowie die Trans- aktionsanalyse (TA). Auch für deren Konzepte zu den Ich- Zuständen und dem Lebensskript gibt es keinerlei empi- rische Belege. Zudem beschreibt er 15 halbwahre oder Bei- nahe-Mythen wie die Überbewertung von HR-Analytics und vieler Kreativitätstechniken. Und er listet auf rund 400 Sei- ten in 15 Kapiteln wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse auf, darunter die Orientierung an den fünf Persönlichkeits- faktoren (Big Five). Für HR-Verantwortliche, denen bisher oft fundierte Informationen fehlten, ist das Buch daher eine Offenbarung und ein wertvolles Nachschlagewerk. Über- zeugte Anhänger einer der zahlreichen unsinnigen Mythen wird der Autor mit seiner Kritik jedoch ebenso wenig errei- chen wie diejenigen, die mit ihren fragwürdigen Methoden lukrative Geschäfte machen. Bärbel Schwertfeger Patrick Vermeren: „A Skeptic‘s HR Dictionary“, A4SK Consulting, Lon- derzeel/Belgien 2019, 1.116 Seiten, 125,00 Euro (bei Amazon) Patrick Vermeren. Für unser Januar-Heft (1/2020) gab er uns bereits ein großes Inter- view: „Trainer sollten nicht als Wunderheiler auftreten.“
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