Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 Ist Verhalten veränderbar? Wie bringt man Menschen möglichst schnell und elegant dazu, ihr Verhalten zu ändern? Antworten dazu bietet Jonah Berger in seinem neuen Buch. Dabei wählt der Marketingprofessor an der re- nommierten Wharton School an der Uni- versity of Philadelphia den Vergleich mit einem Katalysator aus der Chemie. So wie dieser eine chemische Reaktion auslösen und Substanzen rasch in andere verwan- deln kann, genauso sollen bestimmte Vorgehensweisen das Verhalten und die Einstellungen von Menschen verändern können. Berger beschreibt fünf Prinzipen der Veränderung: • Reaktanz reduzieren • Beharrungsvermögen aufweichen • Diskrepanz abschwächen • Unsicherheit verringern • Bestätigende Beweise finden Anhand zahlreicher, anschaulicher Bei- spiele zeigt er, wie Veränderungsversuche gescheitert sind und wie es besser gehen könnte. So erzeugen Druck und Ermah- nungen meist Reaktanz. Ein einfacher Trick, den schon Eltern bei ihren Kindern anwenden: Optionen ermöglichen. Statt „Willst du Spinat essen?“ hilft „Willst du Spinat oder Hühnchen essen.“ Oder der Klassiker der kognitiven Dissonanz: Men- Erkläre Deinen Nutzen! Matthias Kolbusa ist Experte für Verän- derungsprojekte. In der Finanzkrise 2008 beschloss er sein Beratungsgeschäft radi- kal umzubauen. Für Trainer und Coachs dürfte besonders interessant sein, dass sich Kolbusa von Stundenhonoraren und Tagessätzen verabschiedete und sich „projektbezogen“ bezahlen lässt. Dazu muss der Kunde aber vorher genau wissen, was ihm der Berater bringen wird. In dieser Diskussion setzt Kolbusa auf den Ansatz „Value Based Fees“, der aus den USA stammt (Alan Weiss). Dem Kunden wird der Nutzen („Value“), dem ihm ein Kauf stiftet, konkret dargelegt. Verkäufer, die „value based“ verkaufen, versetzen sich in den Kunden hinein, um das Produkt möglichst passend auf des- sen individuelle Bedürfnisse zuzuschnei- den, ihm somit verschiedene Leistungs- vorteile herauszuarbeiten und den Preis der Leistung am Nutzen für den Kunden auszurichten. Kolbusa weiss auch, dass Trainer und Coachs nicht die „vollstän- dige Befriedigung seiner Bedürfnisse“ versprechen können, weil der Erfolg eines Trainings davon abhängt, dass der Kunde „mitarbeitet“. Aber konkret über den ei- genen Nutzen nachzudenken, hat noch keinem geschadet. Jonah Berger: „The Catalyst: How to Change Anyone‘s Mind“, Simon & Schuster, New York 2020, 288 Seiten, 36,00 Euro Matthias Kolbusa: „Berater-Bibel – Die Erfolgsprinzipien für Berater, Trainer & Coaches“, Consulting Mastery, Köln 2020, 668 Seiten, 69,90 Euro (49,90 Euro als E-Book) ISBN 978-3-00-063993-7 schen sehnen sich nach innerer Konsis tenz. Stimmen Einstellung und Verhalten nicht überein, suchen sie Möglichkeiten, diese aufzulösen, und passen ihr Verhal- ten ihrer Überzeugung an. Wie erfolg- reich das Prinzip eingesetzt werden kann, zeigt die Antiraucherkampagne „Smoking Kids“ in Thailand. Kinder baten Raucher auf der Straße um Feuer für eine Ziga- rette. Die erklärten ihnen prompt, dass Rauchen für Kinder sehr schädlich sei, worauf die Kinder sie fragten, warum sie dann rauchen, wenn es doch so schädlich ist und ihnen das Informationsblatt einer Beratungsstelle in die Hand drückten. Die Folge: Die Zahl der Raucher sank erheb- lich. Auch dass wir an gewohnten Dingen hängen, ist keine neue Erkenntnis. Hier helfen zwei Tricks: Die alte Lösung mit höheren Kosten verbinden wie die Au- tohersteller, die Ersatzteile alter Modelle nicht mehr herstellen und damit verteu- ern. Oder den geliebten Status quo ein- fach sperren. So wie es Softwarefirmen gern mit älteren Programmen tun. Inte- ressant sind Bergers Ausführungen zum Brexit. So gelang es Dominic Cummings, dem Berater von Boris Johnson, die Wähler mit dem einfachen Slogan „Take back control“ dazu zu bringen, für den Brexit abzustimmen. Dabei nutzte er die Erkenntnis, dass wir gern am Status quo festhalten und Verlust von Kontrolle ver- meiden. Wenig Erfolg bringt es dagegen, Andersdenkenden umfangreiche Fakten vorzulegen in der Annahme, dann wür- den sie ihre Meinung nach einer gewis- sen Zeit schon ändern. Doch oft passiert sogar das Gegenteil. Sie beharren noch stärker auf ihrer Meinung. Hier liegt die Lösung darin, den Unterschied zwischen dem aktuellen und dem gewünschten Verhalten zu verringern. Was Berger schreibt, basiert zum großen Teil auf bekannten Erkenntnissen der Ver- haltungsforschung und Motivationspsy- chologie. Dennoch gibt das leicht lesbare Buch auch neue, spannende Einblicke in unser bisweilen absurdes Verhalten. Das lässt sich derzeit auch bei der Corona- Krise beobachten, wenn Menschen gegen eine Impfpflicht demonstrieren, obwohl es noch nicht einmal einen Impfstoff gibt. Nach der Lektüre weiß der Leser zumin- dest eines: Fakten helfen nicht.
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