Wirtschaft u. Weiterbildung 7-8/2020
menschen 14 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2020 LEBENSWERK. Der ungewöhnliche Verhüllungskünstler Christo, der mit seiner Ehefrau Jeanne-Claude (1935 - 2009) als künstlerische Einheit auftrat, starb am 31. Mai 2020 in seinem Haus in New York City. In Deutschland wurden beide durch ihre Verhüllung des Reichtstags im Jahr 1995 bekannt. 24 Jahre hat es gedauert, bis sie 1995 den Reichstag in Berlin verhüllen durften. Bis das „Gates-Projekt“ in New York reali- siert wurde vergingen sogar 26 Jahre. „Unsere Kunstprojekte sind aber keine Sache von Geduld“, erklärte Christo 2006 auf dem Waldzell Meeting im Kloster Melk. „Unsere Arbeit ist eine Sache von Leidenschaft.“ Mit ihren spektakulären Verhüllungs- projekten versetzten die beiden Ausnahmekünstler die Welt immer wieder in Erstaunen. Doch keines der Kunstwerke war von Bestand. „Wir achten stets auf drei Punkte“, sagte Christo. „Unsere Projekte sind schön und auf kurze Zeit begrenzt, wir bezahlen sie selbst und bauen alles wieder ab.“ Für jedes Projekt eine eigene Firma gegründet Dahinter stand ein ausgeklügeltes Projektmanagement. Für die Dauer jedes Projekts wurde eine eigene Firma gegründet. Dabei arbeiteten die beiden mit einem möglichst kleinen Team von etwa 20 Mitarbeitern zusammen, darunter Ingenieure und Statiker ebenso wie Ornithologen oder Verkehrsexperten. „Wir bezahlen unsere Mitarbeiter gut“, erzählte Jeanne-Claude, „Aber was wir nicht bezahlen können, ist ihre Hingabe.“ Für die Finanzierung ihrer Projekte akzeptierten sie kein „kom- merzielles“ Geld, keine Sponsoren und keine Spenden, um ihre Freiheit zu behalten. Das notwendige Geld verdienten sie mit dem Verkauf von Christos Entwürfen und Zeichnungen. Stand ein Projekt an, steckten sie ihr gesamtes Vermögen hinein und Christo war auch ein erfolgreicher Projektmanager mussten meist auch noch einen Kredit aufnehmen. Denn die Kosten waren enorm. 25 Millionen Dollar kostete die Verhül- lung des Reichstags, 21 Millionen Dollar das Gates-Projekt. Das eigenwillige Geschäftsmodell der beiden Künstler weckte das Interesse der Harvard Business School, die dazu 2006 die Fall- studie „Christo and Jeanne-Claude: The Art of the Entrepre- neur“ verfasste. Sich anschreien hilft den beiden Projektleitern Nicht nur als Künstler, auch in ihrem Auftreten waren die beiden ein Ausnahmepaar. Er mit schwarzumrandeter Brille, zerzaustem Haar und ausgebeultem Parker. Sie mit feuerro- tem, schulterlangem Haar, dickem schwarzen Lidstrich und krachend bunter Bluse. Nie sah man einen allein, oft beide Händchen haltend. Kennengelernt haben sie sich 1958 in Paris. Damals verdiente Christo sein Geld als Porträtmaler und sollte Jeanne-Claudes Mutter porträtieren. Als er ins Haus kam, funkte es. Und ihre Eltern waren alles andere als angetan von der Liaison ihrer Tochter mit dem arbeitslosen Bulgaren. 1964 emigrierten beide nach New York und lebten seitdem dort in einem Loft in Manhattan. „Wir sind die besten Streithälse der Welt“, erklärte Jeanne- Claude einmal das Erfolgsgeheimnis ihrer Zusammenarbeit. „Christo sagt, die Seile sind zu lang. Ich schreie ihn an. Das sind sie nicht. Dann denkt er, vielleicht hat sie ja doch Recht Christo und Jeanne-Claude. Ihre Verhüllungen seien eine „Offenbarung durch Verbergen“, schrieben internationale Kunstkritiker. Foto: picture alliance / Eventpress | Eventpress Golejewski
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