Wirtschaft und Weiterbildung 9/2020

grundls grundgesetz Boris Grundl 56 wirtschaft + weiterbildung 09_2020 Eigentlich müsste das Human-Resource-Manage- ment (HR-Management) systemrelevant sein. Doch wenn in Unternehmen das Geld knapp wird, muss schnell das Weiterbildungsbudget dran glauben. Die Weiterbildung ist mitunter das Erste, das in engen Zeiten gestrichen wird. Damit ist die Bedeu- tung von Human Resources klar. HR ist etwas, das man sich leistet, wenn es läuft. „Nice“, aber kein „Need-to-have“. Wie kam es dazu? Die Antwort lässt sich gut durch die mentale Dif- ferenzierung „Bestätigung versus Wachstum“ darstellen. Begeben wir uns auf der Suche nach der Daseinsberechtigung von Human Resources einmal in die Vergangenheit. Bei der Analyse des Menschen wurde schnell klar, dass der Mangel an Selbstwert ein ernstes Thema ist. Also hat sich HR auf die Bestätigung des Selbst konzentriert. „Du bist gut, so wie du bist!“ und „Du bist o. k., ich bin o. k.!“ Niemand sollte seine charakterlichen Defizite durch die Erniedrigung anderer kompensieren. Das ergibt Sinn. Durch die Konzentration auf den Markenkern „Bestätigung“ mit seinem Tochterunternehmen „Sympathie und Nähe“ sind jedoch interessante Auswüchse entstanden. Aus Bestätigungsstreben wurde eine Bestätigungsfalle. Die Weiterbildungs­ industrie hat sich in Teilen zu einer Kultur mit erstaunlicher Überlegenheitsillusion entwickelt. So auf die Art: „Wir sind die Geschulten, die Zertifi- zierten. Wir wissen Bescheid. Die anderen sollten uns zuhören.“ Inzwischen lassen viele Manager die HR-Maßnahmen über sich ergehen, weil sie eben müssen. Wie eine Darmspiegelung. Augen zu und durch. Danach weiter wie bisher. Nach deren tie­ ferer Bedeutung gefragt, folgt oft ein Achselzucken. Jede Firma, jede Abteilung und jedes Produkt hat seine Daseinsberechtigung. So wie jeder Mensch. Diese Daseinsberechtigung gilt es regel- mäßig infrage zu stellen. Immer dann, wenn die gewünschte Wirkung ausbleibt. Wer das nicht tut, wird irgendwann von anderen hinterfragt. Durch radikale Umwälzungen im Markt oder eine Krise. Entweder die Disruption erfolgt freiwillig oder sie wird erzwungen. Das ist weder gut noch schlecht. Wie muss es jetzt mit HR weitergehen? Als Erstes gilt es zu erkennen, wie sehr die Bevorzugung von „Bestätigung“ eine lähmende Schicht erschaffen hat. Viele Menschen definie- ren sich über menschliche Nähe. Erst nach der intellektuellen Einsicht kann dieser „blinde Fleck“ auch emotional anerkannt werden. Jetzt heißt es, sich der Herausforderung zu stellen. Wie können Menschen wirklich mental wachsen? Sich ihrer geis­ tigen Fähigkeiten bewusster werden? Es geht nicht darum, die Zitrone noch mehr auszupressen, son- dern sie zu vergrößern. Der Preis dafür ist geistige Anstrengung. Ohne sie geht es nicht. Statt sich also auf die Bestätigung hier und jetzt zu konzentrieren, könnte HR sich auf die Bestätigung für geistiges Wachstum konzentrieren. Das ist ein kleiner Unterschied mit unglaublich großer Wirkung! Darum geht es in Zukunft. Da bin ich mir sicher, dass das die zukünftige Daseinsberechtigung für das neue HR-Management ist. Die Entwicklung des Menschen sollte nicht dem Rotstift zum Opfer fallen, sondern genauso ernst genommen werden wie die Anschaffung einer Maschine. Entweder die Disruption erfolgt jetzt frei- willig oder in Kürze unter Zwang. Sind Sie dabei? Paragraf 88 Erfinde HR neu und mache HR systemrelevant! Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern. www.borisgrundl.de Wie können Menschen mental wachsen? Ohne geistige Anstrengung geht es nicht. „ „

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==