Wirtschaft und Weiterbildung 9/2020
wirtschaft + weiterbildung 09_2020 47 „Zufallsgewinne haben nichts mit Können zu tun“ Stellen Sie sich bitte einen erfolgreichen Vertriebsleiter vor, der sich mit 40 Jahren als Verkaufstrainer selbst- ständig gemacht hat. Als Trainerfrischling schloss er eine Kapitallebensversicherung ab, die jetzt an seinem 60. Geburtstag endet. Er bekommt eine Ablaufleistung von 197.000 Euro ausbezahlt. Ihr Anlagetipp? Prof. Dr. Hartmut Walz: Ich würde dem Trainer raten, das Geld in ein bis drei weltweit streuende „Exchange Traded Funds” (ETFs) anzulegen. Mit einem ETF setzt man nicht auf einzelne Aktien, sondern auf die Wertentwicklung eines Aktienindex. Statt eine Summe von fast 200.000 Euro auszubezah- len, würde ihm der Versicherer lieber eine lebenslange monatliche Rente in Höhe von 578,20 Euro überweisen. Ist das ein attraktives Angebot? Walz: Es gibt einige Versicherer, die in solchen Fällen noch erheblich ungünstigere Angebote machen, aber trotz- dem würde ich dieses Angebot einer Rentenzahlung nicht annehmen. Der 60-Jährige müsste noch knapp 29 Jahre leben, um überhaupt sein Geld zurückzuerhalten. Und das ohne Inflationsausgleich oder Zinsen. Also lieber das Geld selbst – gut gestreut – anlegen. Folgt man den aktuellen Crash- Gurus, dann wird der Euro dem- nächst wohl scheitern. Kann man in weltweite ETFs inves- tieren, die keine europäischen Aktienmärkte enthalten? Walz: Ja, solche Ex-Europa-Index- Aktienfonds gibt es durchaus. Die würde ich aber nicht kaufen, weil man damit gegen den Euro spe- kuliert und der Sinn, in weltweite Indizes zu investieren, besteht ja gerade darin, dass man nicht auf den Erfolg einzelner Aktien oder Länder wettet. Man nimmt einfach gelassen die Marktentwicklung mit. Es kann schließlich auch der Fall eintreten, dass der US-Dollar zur Krisenwährung wird und der Euro davon profitiert. Dann würden Interview. Mit der Null-Zins- oder gar Negativ-Zins-Politik soll Europa gerettet werden – aber leider geht das zu Lasten der Menschen, die ihr Geldvermögen auf dem Girokonto oder in deutschen Staatsanleihen „parken“. Wie man mit beherrschbarem Risiko in Aktien (Sachwerte) investiert, fasst Hartmut Walz kurz und knapp in diesem Interview zusammen. die Euro-Hasser dumm dastehen. Mein Motto ist: Ich habe keine Glaskugel und folglich spekuliere ich nicht. Und wenn ich beim Spekulieren am Aktienmarkt einmal Erfolg haben würde, dann wäre ich wie ein Lottospieler, der gerade eine Million gewonnen hat, aber trotzdem niemandem erklären kann, wie man beim Lottospielen gewinnt. Eine grundle- gende Erkenntnis der Verhaltensökonomie ist, dass kein Spekulant den Markt schlagen kann. Zufallsgewinne haben nichts mit Können zu tun. Mit den ETFs, die Sie empfehlen, investiert man in Aktien. Ist das nicht viel zu viel Risiko, für Menschen, die es von Kindheit an gewohnt sind, ihr Geld in ein Sparbuch oder in kurzlaufende Anleihen zu stecken? Walz: Wir leben nun einmal (wahrscheinlich noch sehr lange) in einer Zeit der Null-Zins-Politik. Da macht es Sinn, sein Geld in Sachwerte wie zum Beispiel Aktien zu stecken. Und die ETFs sind eine seriöse Form, um das Risiko, das auf den Aktienmärkten herrscht, zu minimieren. In einer Börsenkrise gehen natürlich auch die ETFs ins Minus, aber trotz der Finanzkrise des Jahres 2008 hat zum Beispiel der Welt-Aktienindex „MSCI Welt“ seit 15 Jahren jedes Jahr im Durchschnitt um 7,7 Prozent zugelegt. Gibt es ein Szenario, bei dem die Aktienmärkte so richtig krachend zusammenbrechen? Walz: Es müsste zu einem radika- len Politikwechsel kommen und die Zinsen müssten zum Beispiel auf real zwei oder drei Prozent ansteigen. Dann wäre an den Akti- enmärkten der Ofen aus. Allerdings ist eine solche Entwicklung höchst unwahrscheinlich, da gleich meh- rere europäische Volkswirtschaf- ten die höheren Zinsen nicht zah- len können und in Staatsbankrott geraten würden. Und selbst wenn - dann würde solch eine Entwicklung nicht über Nacht kommen und die Anleger könnten sich rechtzeitig darauf vorbereiten. Interview: Martin Pichler Hartmut Walz. Sein löchriger Turm ist ein Symbol für unseriösen Vermögensaufbau.
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