Wirtschaft und Weiterbildung 9/2020
aktuell 12 wirtschaft + weiterbildung 09_2020 Jetzt rufen schon die Parteien nach dem „Recht auf Homeoffice“. Doch der Teil der Berufstätigen, die wirklich gut im Homeoffice arbeiten können, ist klein. Dieser Teil hat zu Hause ein tolles, ruhiges Büro mit einer sehr guten Ausstattung. Dieser Teil kann konsequent genug Privates und Arbeit trennen und ist diszipliniert genug, ohne Anwesenheitskon- trolle rein auf Zielerreichung zu arbeiten. Dieser Teil jubelt, denn für diesen (kleineren) Teil ist Homeof- fice natürlich das Paradies mit viel Freiheit, Zeit ersparnis, Flexibilität und Konzentration. Doch für den überwiegenden Teil derer, die durch COVID-19 über Nacht ins Homeoffice verpflichtet wurden, ist dies Fluch und Segen zugleich. Eine DAK-Studie bescheinigt, dass 47 Prozent eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben schwerfällt. Und ich habe es in einem Projekt selbst erlebt: In den letzten Monaten durfte ich über 100 Marketingentscheider über Video Calls coachen. Die Gesprächspartner saßen in jedem Zimmer, auch im Schlafzimmer. Da hüpften kleine Kinder auf den Schoß des Papas und wollten wissen, wer denn der Mann da im Notebook ist. Jemand hat im Hin- tergrund gekocht oder gegessen, das TV-Gerät lief und Babies schrien. Da dachte ich oft an meine Zeit als HR-Manager zurück, wo ich mit dem Betriebsrat darüber diskutierte, ob der Drucker am Arbeitsplatz nicht zu laut ist oder der Bürostuhl allen ergono- mischen Kriterien entspricht. In der Krise ist ein Homeoffice eine große Hilfe, da der Betrieb aufrechterhalten wird. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Mitarbeiter deswegen so laut nach dem Homeof- fice-Recht rufen, weil sie die Annehmlichkeiten nicht mehr aufgeben wollen und die Nachteile dafür in Kauf nehmen – zulasten der Ergebnisse, der Psyche, des Mitarbeiterklimas und damit des grund- sätzlichen Rechts des Arbeitgebers, die eingekaufte Leistung optimal zu nutzen. Laut DAK-Studie würden 76,9 Prozent der Homeoffice’ler gerne weiter dort bleiben. Egois- tische Motive sind zu vermuten. Dr. Reinhard K. Sprenger hat unter der Überschrift „Wiederent- deckung des Physischen“ geschrieben: „Wer vom Homeoffice aus arbeitet, der koordiniert allenfalls, der kooperiert nicht.“ Er bezog dies zurecht auf den Anspruch, dass ein Unternehmen eine „Kooperati- onsarena“ sein soll, ein Ort der „Zusammen-Arbeit“, wo durch gegenseitige Inspiration und das Ringen um die Sache Hochqualitatives entsteht. Dafür braucht es Menschen, die den „Wert des (gemein- samen) Ortes“ wiederentdecken. Das ist das Arbeit- geberinteresse. Auch wenn Homeoffice unstrittig auch Vorteile für die Familien- und Umweltpolitik hat: Ich plädiere dennoch für die vorherige intensive individuelle Prü- fung der Homeoffice-Notwendigkeit und der Homeoffice-Fähigkeit der betroffenen MitarbeiterInnen aus Arbeitgebersicht. Vor Corona waren laut Bundesarbeitsmi- nisterium 12 Prozent aller Arbeitnehmer im Homeoffice, am Anfang der Krise hat sich die Zahl verdoppelt und nimmt seither wieder ab. Denn ergebnisorientierte Arbeitgeber haben längst dort, wo es geht, das hybride Office realisiert. Sie werden maximal diese Mischlösung ausbauen. Weil sie um den intensiven natürlichen Bedarf des Menschen nach ausreichendem persönlichen Kontakt wissen. Dann entstehen attraktive Arbeits- plätze, die Talente wollen, wo sie leisten, bleiben und den Arbeitgeber weiterempfehlen. Ergebnisorientiere Arbeitgeber haben längst das hybride Office realisiert. „ „ Gastkommentar Menschen brauchen Privatsphäre und Arbeitsphäre Siegfried Haider Siegfried Haider ist Experte für Marken-Positionierung und Employer Branding. Sein Motto lautet: „Eine gefragte Arbeitgeber-Marke ist viel schöner als ständig Talenten hinterher rennen und fragen zu müssen“. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Marketingagentur „Siegfried!haider - Die Marken-Positionierer“, Schillerstraße 15, in 82223 Eichenau bei München, Telefon 08141 317732-0, Internet: www.siegfried-haider.com
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