Wirtschaft und Weiterbildung 1/2020
grundls grundgesetz Boris Grundl 64 wirtschaft + weiterbildung 01_2020 Obwohl wir im Vergleich zu anderen Ländern öko- nomisch sehr erfolgreich sind und auch in Zukunft immense Chancen haben werden, scheinen wir emotional auszubluten und mental kränker zu wer- den. Es ist erschreckend. Lassen Sie uns eine Erklä- rung versuchen! Albert Bandura hat den wunderbaren Begriff der Selbstwirksamkeit geprägt. Seinen Forschungen zufolge bedeutet Selbstwirksamkeit die Überzeu- gung, selbst schwierige Situationen aus eigener Kraft meistern zu können. Ohne diesen zentralen Aspekt menschlicher Entwicklung nehmen wir Herausforderungen oft gar nicht erst an. So hilfreich Selbstwirksamkeit beim Erkennen von Potenzialen ist, so schwierig ist ihre praktische Beachtung und Entwicklung im Alltag. Mein Glaube, in einer Situation etwas bewirken zu können, hat viel damit zu tun, ob ich mich mit Din- gen beschäftige, die ich beeinflussen kann, oder ob ich mich dem zuwende, was mich zwar interessiert, aber außerhalb meines Einflusses liegt. Was ich beeinflussen kann, ist mein Einflussbereich. Was mich lediglich interessiert, ist mein Interessenbe- reich. Wenn der kürzeste Weg zu einem Termin eine Treppe ist, liegt sie für mich als Rollstuhlfahrer in meinem Interessenbereich. Doch gegen die Treppe bin ich allein machtlos. Die Suche nach einem anderen Weg oder nach Hilfe zur Überwindung der Stufen ist mein Einflussbereich. Schnell wird klar, wohin meine emotionale Kraft gehen sollte. Als Coach begegnen mir viele Menschen, die ein hohes Maß an emotionaler Energie in einen Inte- ressenbereich investieren, der sich ihrem Einfluss entzieht. Ich frage mich, warum Menschen so viel Energie in einen Interessenbereich pumpen, wenn das Ergebnis Frustration ist. Wenn ich mich lauthals im Rolli vor der Treppe beschwere, ernte ich sicher Zustimmung von anderen Beschwerdeliebhabern, mit denen sich bestimmt viele andere Gründe für die Ungerechtigkeit der Welt finden ließen. Meinem Ziel aber komme ich nicht näher und habe mental den Eindruck, mit dem Kopf permanent gegen eine Wand zu hauen. Es hat eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, was da los ist. Wenn ich mir meines wahren Einfluss- bereichs bewusst werde, passieren zwei Dinge: Erstens wird mir klar, wie viel Einfluss ich überhaupt habe. Das ist der erste Realitätsschock für die, deren Selbstbild viel größer ist als die Realität. So was soll doch tatsächlich vorkommen. Zweitens übernehme ich wesentlich mehr Verantwortung für meinen Einflussbereich und werde dadurch mess- bar und angreifbar. Das ist für manche der zweite Realitätsschock. Und wenn ich mich dieser Realität nicht stellen will, verrenne ich mich in Dinge, die ich nicht ändern kann, und beschwere mich. Daraus folgt für mich: Einen unreifen Charak- ter erkennt man an der Häufigkeit und Form seines Beschwerens. Mein eigener Erkenntnisweg nach meinem Unfall heraus aus der Sozialhilfe ist mir noch sehr prä- sent. Anzuerkennen, dass sich mein finan- zieller Einflussbereich um eine Jeans für 3,60 DM drehte, war schmerzhaft. Doch heute darf ich um sechsstellige Weiterbildungsbudgets verhandeln. Ich bin überzeugt: Wer sich auf das konzentriert, was da ist, der kann daraus mehr machen. Und dann schaut man, wie weit man kommt. Wer sich emotional zu sehr in seinem Interessenbereich ver- rennt, tritt auf der Stelle und wird immer frustrierter. Paragraf 81 Konzentriere dich auf deinen Einflussbereich! Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern. www.borisgrundl.de Einen unreifen Charakter erkennt man an der Häufigkeit und der Form seiner Beschwerden. „ „
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