Wirtschaft und Weiterbildung 1/2020

messen und kongresse 52 wirtschaft + weiterbildung 01_2020 Jahren werden wir zu 80 bis 90 Prozent individuell lernen. Für die verbleiben- den rund 20 Prozent werden wir einen Experten treffen oder wir tauschen uns in Gruppen aus. Aber auch dieser Aus- tausch geschieht digital. Dieser Fokus auf dem individuellen Lernen verringert natürlich die soziale Interaktion. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir diesen Punkt bei der Entwicklung digitaler In- halte nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen in der Aus- und Weiterbildung auch weiterhin den Austausch und echte Experten. Erst dadurch wird Wissen krea­ tiv verknüpft. Laut dem Index für die digitale Wirt- schaft und Gesellschaft (DESI) der Euro- päischen Kommission nahmen 2017 nur sechs Prozent der deutschen Internetnut- zer an Onlinekursen teil. Woran hakt es? Baudis: Wir haben ein gut funktionieren- des Wirtschaftssystem. Infrastrukturell stehen wir sehr gut da. Deshalb glau- ben wir, dass das, was in den vergange- nen 30 oder 50 Jahren gut gelaufen ist, auch künftig gut funktionieren wird. Lei- der sind wir da auf dem völlig falschen Dampfer. Diese Einstellung müssen wir aufbrechen. Dafür brauchen wir starke Vorbilder, die uns schmerzhaft klarma- chen, welche Vorteile wir gerade ver- schlafen. Gibt es diese Vorbilder nicht schon? Baudis: Ja, aber unsere Rückständigkeit ist aktuell einfach zu groß. Vielleicht müssen wir erst einen echten Tritt be- kommen, damit wir beweglicher werden. In den skandinavischen Ländern werden die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, viel besser erkannt. Die Akzep- tanz ist hoch. In Asien ist die Ausbildung längst digitalisiert. Und wir? Die deutsche Automobilindustrie baut immer noch Ver- brennungsmotoren und verpasst dabei die zwei wichtigsten Technologien ihrer Branche: den Elektroantrieb und das au- tonome Fahren. Das ist in vielen Berei- chen so, leider auch im Bildungssystem. Wie sieht im Jahr 2030 eine Lernumgebung aus? Christian Baudis: Der entscheidende Un- terschied zu heute wird sein, dass Sie sich nicht mehr selbst auf die Suche nach einem passenden Kurs begeben. Eine sprechende Assistenz wird Sie dabei un- terstützen. Wo Sie lernen, entscheiden Sie in den meisten Fällen selbst. Genauso wie die Sprachassistenz wird auch das Lern- programm auf künstlicher Intelligenz basieren. Der Input erfolgt per Sprach­ eingabe und wenn Sie etwas visualisieren müssen, verknüpfen Sie die Lernanwen- dung mit Bildschirm oder Laptop. Oder mit Ihrem Haushaltsroboter. In ungefähr 15 Jahren wird der als Endgerät so prä- sent sein wie heute das Smartphone. Das klingt nach einer einsamen Angelegenheit ... Baudis: Die zunehmende Technisierung führt in der Gesellschaft schon seit der industriellen Revolution zu einer fort- schreitenden Individualisierung. In zehn „Der Fokus liegt immer mehr auf individuellem Lernen“ LEARNTEC II. Christian Baudis ist Digitalunternehmer, Futurist und ehemaliger Deutschland-Chef von Google. Auf der Learntec 2020 wird er am 28. Januar eine Keynote zum Thema „How digitalization changes the way we learn“ halten. In diesem Interview gibt er Hinweise, wie sich das Lernen in Zukunft verändern wird. Fotos: KMK/Jürgen Rösner Innovation. Die Learntec gab Start- ups und ihren neu- esten Lerntechno- logien schon immer viel Raum.

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