Wirtschaft und Weiterbildung 1/2020
wirtschaft + weiterbildung 01_2020 33 Realistische Satire von einem Kommunikationstrainer Wenn eine Du-Kultur per Dekret und Übergangsfrist ange- ordnet werden muss, wenn ein Fahrradparkplatz mit Brim- borium eingeweiht wird, wenn sich 50-jährige Manager im Triathlon gegenseitig uberbieten, wenn Fuhrungskrafte nur noch mit englischen Begriffen um sich werfen, dann findet der Kommunikationstrainer Häseli das außerst amusant. Er liebt die Absurditaten des Alltags, die wenig logisch sind und doch zum Business dazugehören. Absurde Prozesse und Verhaltensnormen aus dem Wirt- schaftsleben bilden den Nahrboden fur Häselis neuestes Buch. Seit zwanzig Jahren berät er Unternehmen, trainiert Menschen in verschiedenen Branchen und hält Vortrage vor Managern. Er sieht viel Nonsens, aber das meiste davon ist nicht betriebsspezifisch, sondern eher typisch Großun- ternehmen, typisch Manager oder typisch Mitarbeiter. Das bringt jeden zum Schmunzeln, zum Lachen und manchmal eben auch zum Nachdenken. Beispiel: Die Du-Kultur geschickt austricksen Ein Beispiel: Unverhofft entscheidet der CEO, der sich gerne als Macher-Typ bezeichnet, dass man die Du-Kultur einfuhren sollte. Geht schnell, wirkt schnell in Richtung Teamgeist und kostet nichts. Ab sofort sollen alle „Du“ sagen, unabhangig von der Hierarchieebene. Das ist modern und zeugt von Offenheit. Gefuhlt werden so Hier- archien abgeschafft, um sie dann durch die Hintertur noch starker zu pflegen. Aber ab sofort geht nicht, befinden die Abteilungsleiter. Was ist mit denjenigen, die jetzt im Urlaub oder auf Geschaftsreise sind? Die kommen nachsten Mon- tag zuruck und werden von ihren Mitarbeitern plotzlich mit Du angesprochen. Das ist zu abrupt. Also muss ein Stich- tag her. Ab 1. Februar diesen Jahres gilt die Du-Kultur. Und weil auch Leute im Dreischichtbetrieb betroffen sind, wird die Zeit 0:00 Uhr ebenfalls definiert. Zu Beginn der Schicht begrußt der Bereichsleiter noch mit „Guten Abend, Herr Meier“, verabschiedet wird dieser dann mit „Tschuss Matthias“. Das wirkt nur auf den ersten Blick etwas gro- tesk und gestelzt, aber die Gruppe spurt so am intensivs- ten, wie ernst es der Geschaftsleitung mit dem Thema „Wertschatzung“ ist. Wer in einer Übergangsphase von sechs Monaten Muhe hat, vom „Guten Tag, Herr Meyer, konnten Sie den Bericht schon schreiben?“ auf das joviale „Hallo Bruno, hast du Stefan Häseli. Der Schweizer ist nicht nur ein vom BDVT irgendwann einmal mit einem Gold-Award ausgezeichneter Kommunikationstrainer. Er ist auch Business-Kabarettist, der den alltäglichen Business-Wahnsinn und das wahre Leben in den Chefetagen gekonnt aufs Korn nimmt. Sein neuestes Buch „Best Practice Leadershit“ ist eine realistische Satire. Buchtipp. Stefan Häseli: Best Practice Leadershit – Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen, Business Village, Göttingen 2019, 186 Seiten, 19,95 Euro. das Gekritzel schon fertiggebastelt?“ zu wechseln, fur den gibt’s eine Alternative: „Guten Morgen, wie sieht’s aus, ist der Bericht schon fertig?“ Die Abteilungsleiter, die die ber- gangsphase beschlossen haben, sind stolz, die Quadratur des Kreises gefunden zu haben. Dazu erfullt das Unterneh- men weitere Hurden in der geschlechterneutralen Formu- lierung. Wer nicht Menschen mit „Sie“ oder „Du“„anspricht, sondern nur uber Sachen redet, kann „Frau“ und „Mann“, sowie „Sie“ oder „Du“ nicht mehr verwechseln. Das ist laut Häseli „wahrlich ein monumentaler Schritt im kontinuierli- chen Verbesserungsprozess“. Buch als Therapie Amüsant ließt sich auch das Kapitel, in dem der CEO das Einzelkampfertum abschaffen will. Die Pläne des Produkti- onsleiters werden jetzt folgendermaßen „diskutiert“: Jeder gibt seinen Senf dazu, obwohl er von Technik, Produktion, Kaizen und KVP uberhaupt keine Ahnung hat. Entschieden wird hochstens, dass noch nicht entschieden wird. Aussa- gen wie „Da muss der Produktionsleiter nochmals mit dem Rotstift uber die Bucher“ sind vorgeschobene Argumente, wichtige Entscheidungen nicht zu fallen. Alle reden mit, nie- mand will die Konsequenzen tragen. Die Leser werden das Buch nach einem anstrengenden Tag im Buro gerne zur Hand nehmen, weil man sich und andere wiedererkennt. ber den Management-, Fuhrungs- und Kommunikationswahnsinn zu lachen, ist personliche Thera- pie und zwischenmenschliche Beziehungspflege in einem. Martin Pichler
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