Wirtschaft und Weiterbildung 1/2020
personal- und organisationsentwicklung 32 wirtschaft + weiterbildung 01_2020 kopiert noch in den Heiligenstatus erho- ben werden. Unter zahlreichen Aspekten ist sie ein wahres Vorbild. Doch es gibt auch Themen, die dazu an- regen, eher vorsichtig zu sein. In diesen Tagen zeigen sich auch wieder einmal die deutlichen kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA. Hierzu- lande polarisiert Greta, wird aber wahr- genommen und löst Debatten auf allen möglichen Seiten aus. Wer Greta sagt, meint irgendetwas mit Klimawandel. Das ist hingegen in Amerika anders. Ein Be- kannter aus den Vereinigten Staaten er- zählte kürzlich, dass es Greta Thunberg dort kaum in die Schlagzeilen schafft. Ganz anders sieht es beispielsweise mit einer ehemaligen Assistentin des Präsi- denten aus, die sich einreiht in die illustre Schar von Ex-Mitarbeitenden von Donald Trump. Gegenüber einem Journalisten plauderte sie über die erwachsenen und angeblich unerzogenen Trump-Kinder so manches aus. Willkommen in den Me- dien, so etwas ist präsent und hat eine entsprechende Tragweite. Wer in den USA fragt „Kennst du Greta Thunberg?“ erhält die Antwort „No – who is this?“ Wer dann noch so etwas nachschiebt wie „die kämpft fürs Klima“ wird unter Um- ständen eine Gegenfrage wie „Ah, dann fährt sie auch Tesla?“ ernten. Im Rahmen einer Kommunikationsana- lyse geht es immer um den Aspekt, dass Kommunikation empfängergerecht sein soll. Momentan bin ich unsicher, ob das, was Greta Thunberg in Europa macht, auch in Amerika funktioniert. Einmal völlig wertfrei gesprochen: Umwelt- und Klimaschutz ist auf dem alten Kontinent ideologischer, näher am eigenen Werte- system und am persönlichen Verhalten orientiert. 5 Greta könnte das richtige Maß verlieren Ob zum Beispiel Gretas Segeltörn über den Atlantik ein kluger Schachzug war, ist fraglich. Eine ursprünglich gut ge- meinte Kampagne lief dank medialer Ausschlachtung phasenweise buch- stäblich aus dem Ruder. Die Diskussion startete mit der berechtigten Nachfrage, woher ihre Begleiter kommen und ob sie mit dem Flugzeug an- und abreisen. Me- dien spekulierten plötzlich darüber, ob es überhaupt eine Toilette auf der Yacht gibt – mit dem unschönen Nebeneffekt, dass der eigentliche Beweggrund dieser Reise in den Hintergrund trat. Und irgendein Journalist macht immer mal wieder die Rechnung auf, dass das, was sie gerade tut, unter Umständen eben doch mehr CO2 braucht, als wenn sie es eben nicht getan hätte. Unter Umständen wäre es bei dieser Be- trachtung wohl cleverer gewesen, sich mit dem Vater in ein Linienflugzeug zu setzen, kein großes Aufheben zu ma- chen und sich auf den Auftritt und die Botschaften bei der UN-Vollversammlung zu konzentrieren. Wer sieht, wie oft Greta Thunberg heute das Covergirl auf Maga- zinen ist, muss feststellen: Nicht selten haben die Titel und Medien mit ihren Zielen überhaupt nichts am Hut. Die ur- sprüngliche Idee, nämlich der Geschichte ein Gesicht zu geben, ist durch die me- diale Übertreibung dort gelandet, wo es nur noch um das Gesicht und nicht mehr um die Sache geht. Wie oft geht es um die reine Inszenierung und nicht mehr um den eigentlichen Sachverhalt oder die Mission? Will sich jemand hauptsächlich im Licht der Scheinwerfer sonnen? Tre- ten dadurch die oft hehren Absichten in den Hintergrund? Das kann passieren, ist dann aber alles andere als zweckmä- ßig. Wenn es nur noch um die reine Ver- marktung geht, verliert das Ziel. Das ist bei einer Person des öffentlichen Lebens genau wie im Unternehmen. Gerade in größeren Unternehmen gibt es oft genug Manager, die nur ein Ziel haben: bei der nächsten Reorganisation, wenn die Kar- ten neu verteilt werden, eine Stufe weiter oben zu landen. Das hat nichts mit En- gagement für das Unternehmenswohl zu tun, das ist Kommerz in eigener Sache. Und das tut Greta nicht gut – und keinem Chef. 6 Greta redet nicht nur, sondern tut auch etwas Abseits vom kritischen Blick: Wer will, kann von jedem Menschen etwas ler- nen – und von Greta Thunberg noch ein wenig mehr. Um das positive Learning anhand ihrer Person abzuschließen, kommt nach den genannten Aspekten noch ein entscheidender dazu: Sie tut! Vom Know-how zum Do-how! Sie redet nicht nur gescheit daher, sondern nimmt tatsächlich viele Unannehmlichkeiten auf sich. Sie lässt sich blicken, hält Reden, ist vor Ort, schürt Konflikte und versucht sie wieder zu lösen. Es gibt viel zu sagen über ihre Aktivitäten – und bei alledem ist ihr Tun nach wie vor das Wichtigste. Fazit: Eines sollte uns klar sein: Greta Thunberg wird das Klima nicht retten. Doch sie zeigt, dass es machbar ist, am eigenen Thema konsequent dranzublei- ben. Das darf sich jeder in Erinnerung rufen, wenn man selbst mal wieder in der Man-sollte-mal-Schleife landet. Stefan Häseli R Stefan Häseli ist Kommunikati- onstrainer, Key- note Speaker, Moderator und Autor mehrerer Bücher. Der Experte begleitet seit Jahren zahlreiche mit- telständische Unternehmen und multinationale Konzerne. Er doziert an diversen Universitäten und Fach- hochschulen zum Themenfeld Kom- munikation. Stefan Häseli Atelier Coaching & Training AG Ringstraße 16a CH-9200 Gossau SG Tel. 0041 71 2602226 www.stefan-haeseli.com AUTOR Person des Jahres. Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ wählte Greta Thunberg aufgrund ihres weltweiten Einflusses zur „Person des Jahres“.
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