Wirtschaft und Weiterbildung 1/2020

personal- und organisationsentwicklung 30 wirtschaft + weiterbildung 01_2020 dann noch die unverbesserlichen Reali- tätsfetischisten dazu, die im Brustton der Überzeugung sagen: „Sie mag ja recht haben, aber die kann noch gar nichts für ein besseres Klima tun solange Länder wie die USA, Indien oder China nicht mit- machen.“ Die Situation ist ganz ähnlich wie mit Zahnschmerzen: Wenn Sie solche haben, können Sie das nicht selbst reparieren. Dafür brauchen Sie den Zahnarzt, der eindeutig die bessere Position zum Fli- cken des Zahns hat, darüber hinaus auch noch das Wissen und die passenden Ge- räte in Griffweite. Aber sagen müssen Sie es ihm schon, dass Sie Zahnschmerzen haben. Am besten erklären Sie ihm sehr genau, wo es wehtut, wie lange schon. Und am Ende finden Sie bestenfalls zu der Einsicht, dass Sie künftig weniger Schokolade essen sollten, um weitere derartige verheerende Folgen inklusive Schmerzen zu vermeiden. Das Klima hat vielleicht auch Zahn- schmerzen. Aber die Sprache der Natur können (oder wollen?) nicht alle verste- hen – zumindest jene nicht, die eigent- lich die politischen Spezialisten inklusive Handhabung sind. Dazu braucht es eine Stimme. 1 Greta gibt Problem eine Stimme und ein Gesicht Ob auf Friday-for-Future-Demonstratio- nen oder auf Wahlzetteln, ob bei Tagun- gen und Kongressen oder schlichtweg während der Diskussion mit dem Nach- barn: Greta Thunberg ist präsent, bei vie- len in den Köpfen und bei anderen sogar in den Herzen. Sie ist eine junge Persön- lichkeit, die wahrnehmbar innerhalb we- niger Monate die Welt definitiv ein Stück weit bewegt hat. Es ist ja wahrlich nicht so, dass die Klimabewegung neu ist. Aber ihr fehlte bisher ein Gesicht. Und ohne Gesichter ist es heutzutage kaum mög- lich, eine Geschichte, eine Vision, eine Idee zu vermitteln. Greta Thunberg bedient die mediale Dy- namik und alles, was „Greta“ im Titel hat, wird geklickt und gelikt. Auch wenn Greta: fünf Buchstaben, zwei Silben, ein Vorname genügen und Millionen von Menschen wissen, wer und was gemeint ist. Und im nächsten Augenblick haben die Leser dieses Textes dazu vermutlich auch schon eine Emotion entwickelt. Da können professionelle Werbeagenturen nur noch losheulen und Tränen vergie- ßen vor Neid und Missgunst. Sie ist ein wunderbares Testimonial, das weder ge- castet noch hochbezahlt oder mit einem bestehenden „Promi-Bonus“ eines aus- gebleichten Vorlebens auftrumpft. Sie ist 16 Jahre alt, von einer Krankheit ge- zeichnet, rhetorisch eher durchschnitt- lich und sogar noch ohne nennenswertes Beziehungsnetz – aber sie ist trotzdem sehr wohl in der Lage, zu fast jeder ver- schlossenen Tür einen Schlüssel besorgen zu können. Grund genug, einmal über die kommu- nikative Wirkung des Menschen Greta Thunberg nachzudenken. An dieser Stelle geht es weder um eine inhaltliche Analyse oder um eine Würdigung ihres Wirkens noch um eine Betrachtung ihrer Ideen, sondern um die Fragestellung, was wir als Kommunikationsprofis und Rhe- torikexperten von ihr lernen können. Fakt ist: Meinungen über Greta gibt es vieler- lei und einiges davon ist auch bei Ihnen, liebe Leser, vermutlich bereits auf der Be- wusstseinsebene angekommen. Von den einen ist zu hören: „Das ist eine Heldin, endlich jemand, der wachrüttelt.“ Andere Stimmen werden laut und äußern die An- sicht: „Die soll doch besser in die Schule gehen.“ Neben diesen meist etwas ideologisch angefärbten und mit dem eigenen Werte- system abgeglichenen Aussagen kommen Von Greta Thunberg Kommunikation lernen ANALYSE. Sie wird von manchen als heilige Prophetin bezeichnet, von anderen als Hype-Ikone. Man kann sie als Hoffnungsträgerin begreifen oder als Medienphänomen. Klar ist: die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg polarisiert. Kommunikationsexperte Stefan Häseli schaut für uns genauer hin. Foto: NurPhoto / Kontributor

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