Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020

wirtschaft + weiterbildung 02_2020 53 genen Fähigkeiten. Aber auch in unserer Grunddisposition als Herdenwesen sind Menschen darauf ausgelegt, ihr Umfeld gut im Blick zu haben. Außerdem haben in der heutigen Gesellschaft viele verlernt oder verdrängt, sich selbst zu reflektie­ ren. Durch den dauerhaften Fokus nach außen, wie Anerkennung von Kollegen, Statussymbole, Facebook-Follower, kön­ nen Menschen diese Faktoren inzwischen leichter bewerten als etwa ihre Eigenver­ antwortung. Das ist der Grund, warum „Erkenne dich selbst“ seit Jahrtausenden Leitgedanke tiefer Reflexion, Selbstfin­ dung und Transformation ist. Was in diesem Zusammenhang beson­ ders überrascht, sind die Ergebnisse zur Einstellung zu Verantwortung: Parado­ xerweise belegt der Index ebenso, dass vielen Befragten Verantwortung gefällt. 72 Prozent empfinden sie als etwas Po­ sitives. Sie übernehmen Verantwortung, „weil es sich gut anfühlt“ (Grafik 3). Für jeden Fünften ist Verantwortung dagegen eine Last. Das Ergebnis unterstreicht die Notwen­ digkeit, das Thema in ein besseres Licht zu rücken. Ziel muss sein, dass noch mehr Menschen den Spaß und die Wir­ kung der eigenen Verantwortung erleben. Dass Verantwortung ein gutes Gefühl hervorruft, hängt vom richtigen Umgang mit ihr ab. Denn wer Verantwortung klug übernimmt, bringt sein bestes Ich zum Vorschein. Er löst seine inneren Brems­ klötze, überwindet Hürde um Hürde, kommt zu Ruhe und zu Kraft, wächst geistig, um am Ende mentale Gesund­ heit, Erfolg und Erfüllung zu genießen. Der Index belegt somit das bisher nur gefühlte Ungleichgewicht: Einige wenige Menschen in unserer Gesellschaft über­ nehmen zu viel Verantwortung – bis sie irgendwann ausbrennen. Das sind dieje­ nigen, die im Job immer die Hand heben, wenn es neue Projekte gibt, die sich pri­ vat in Vereinen engagieren, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämp­ fen und es sowohl Chef, Familie und Ge­ sellschaft recht machen wollen. Zu viel Verantwortung überfordert. Wer sich zu große Lasten auflegt, bricht darunter zu­ sammen. Missgunst bremst Verantwortung Viele andere hingegen übernehmen zu wenig Verantwortung. Ihre Aufmerksam­ keit liegt auf anderen Themen, obwohl die meisten durchaus in der Lage wären, verantwortungsbewusst zu handeln. Zu wenig Verantwortung bremst nicht nur aus, es verhindert auch Entwicklung, macht klein und schwach. Wichtig ist daher, dass wir Menschen es mit der Ver­ antwortung weder übertreiben noch uns vor ihr wegducken. Das Maß ist entschei­ dend, allein die goldene Mitte inspiriert. Und nur mit einem klugen Umgang ent­ wickelt sich auch die Gesellschaft, Wirt­ schaft, Ökologie und unser gesamtes Mit­ einander zur bestmöglichen Form. Dass es dafür einen Bedarf gibt, offenbart der Index 2019 ebenfalls: Ein Drittel der Befragten gibt an – nicht zuletzt durch den Umgang mit Verantwortung, – mit der allgemeinen Lebenslage unzufrieden zu sein. Der Index belegt: Wer eine nega­ tive Sicht auf Verantwortung hat, ist ge­ nerell frustrierter. Je positiver Menschen Verantwortung bewerten, desto mehr steigt die Zufriedenheit. Lust an Verant­ wortung macht demnach zufriedener und glücklicher. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Thema Neid. Der Index 2019 bildet erstmals ab, wie Neid das Verantwortungsbewusstsein der Deutschen beeinflusst. Im Alltag be­ haupten ja viele Menschen – aus Grün­ den der sozialen Erwünschtheit – sich nicht mit anderen zu vergleichen. Doch ein Vergleich ist nicht per se schlecht. Es kommt auf die Art an, wie wir die Ergebnisse anderer bewerten. Der Index belegt: Wer sich durch andere inspirie­ ren lässt, ist besser darin, Verantwortung zu übernehmen. Wer sieht, dass sich die Anstrengung anderer lohnt, entwickelt Motivation, dem Beispiel zu folgen – und übernimmt mehr Verantwortung. So kann ein erfolgreicher Kollege Anlass für den eigenen Wachstumsantrieb sein. Doch Vorsicht, nur inspirierender Neid fördert Verantwortung. Die negative Form von Neid ist Missgunst. Bei die­ ser Form empfindet der Neidende Frust statt Motivation. Ihm geht es nur darum, dass der Kollege seine Beförderung oder Anerkennung nicht bekommt. Es geht nicht darum, selbst befördert zu werden. Missgünstige Menschen haben eine ge­ ringere Verantwortungsqualität in Bezug auf die eigene Verantwortung. Dies zeigt sich in jeder gemessenen Dimension: Be­ wusstsein, Übernahme, Sinn der eigenen Verantwortung und Sehschärfe. Dement­ sprechend ist auch die Grundeinstellung gegenüber der eigenen Verantwortung negativer besetzt, denn Missgunst ist kein Antrieb zur Veränderung, sondern grund­ sätzlich destruktiv. Inspirierend neidende Menschen können deutlich besser beant­ worten, wofür Verantwortung gut ist. Sie schätzen sie positiver ein. Das führt dazu, dass sie Verantwortung auch besser über­ nehmen können: 68 Punkte bei hohem Neid im Vergleich zu 53 Punkten bei ge­ ringem Neid (Grafik 4). Generell beneiden Menschen andere, wenn sie sich selbst schlechter fühlen. Neid ist also stets ein Unterlegenheitsver­ gleich. Dient Neid jedoch als Inspiration – erkennt man also die Sinnhaftigkeit von Verantwortung – kann Neid etwas sehr Positives sein und unglaublich motivie­ ren. Missgunst führt dagegen zu Unzu­ friedenheit. Für Unternehmen bedeutet das: Zufriedene Mitarbeiter sehen die eigene Verantwortung schärfer. Je mehr Verantwortungsbewusstsein, desto weni­ ger Missgunst und desto besser das Ar­ beitsklima. Wie können wir die Verant­ wortungsqualität in Unternehmen also beeinflussen? Es lohnt, an sich selbst zu glauben. Außerdem lohnt sich, Verant­ wortung zu übernehmen – nicht zu viel und nicht zu wenig. Corinna Wellnitz Grundhaltung gegen- über Verantwortung Grafik 4. Es werden mittels Vierquadrantenschema Neidtypen gebildet. inspirierender Neid hoch niedrig missgünstiger Neid hoch niedrig 82,7 68,4 53,3 71,0

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