Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020

wirtschaft + weiterbildung 02_2020 51 Gleichzeitig sind diese Lösungen immer hoch spezialisiert, weshalb sie auch als „Narrow AI“ bezeichnet werden. Das hat noch lange nichts mit der Utopie einer „General AI“ auf menschlichem Intelli- genzniveau zu tun und schon gar nichts mit einer „Super AI“, die über mensch- liche Fähigkeiten hinausgeht. Diese The- men finden sich nur in philosophischen Diskussionen unter Experten, die uns heute in der Praxis nicht betreffen. Welche Auswirkungen hat die Technologie auf das Business von heute? Boydak: Bezogen auf das Business und die Wertschöpfung von Unternehmen sehe ich grundsätzlich zwei Möglich- keiten, die ohne die neue Technik nicht bestehen: Einerseits können wir neue Niveaus von Automatisierung und damit neue Effizienzebenen erreichen. Auf der anderen Seite kann die intelligente Nutzung der Lösungen auch neue Kun- denerlebnisse schaffen und damit neue Geschäftsfelder erschließen. Produktivi- tätssteigerung durch mehr Effizienz und Wirtschaftswachstum durch neue Pro- dukte und Geschäftsmodelle, das sind die beiden Chancen für Firmen und Wirt- schaftsregionen. Wir haben es mit einer mächtigen Tech- nologie zu tun, die große Risiken birgt, etwa wenn es um die militärische Nut- zung geht, aber auch mächtigem Poten- zial zum Guten, etwa weil gefährliche Tätigkeiten nicht mehr von Menschen erledigt werden müssen. In Europa fehlt es aber an konkreten po- sitiven Anwendungsbeispielen. Um diese Lücke zu schließen und nicht irgendwann von der Entwicklung überrollt zu werden, müssen wir uns mit den konkreten An- wendungsfällen auseinandersetzen. Wir müssen wirklich versuchen, das Thema zu verstehen, um mit den Chancen und Risiken umgehen zu können. Und aktuell verstehen es nur wenige Menschen: Viele Führungskräfte und Topmanager verste- hen es nicht, die meisten Mitarbeiter ver- stehen es nicht und die meisten Politiker auch nicht. Es fehlt also an positiven Beispielen? Boydak: Genau. Deshalb verfolgt die AI Business School einen Ansatz, der stark auf Austausch abzielt. Wir bringen in un- seren Angeboten viele Beispiele zur In­ spiration ein und fokussieren uns auf die Praxis. Denn für Unternehmen gilt: Sie müssen dafür sorgen, dass sich viele im Unternehmen trauen und einfach mal an- fangen, am besten mit kleinen Projekten. Auf dieser Basis können dann alle mutig weitergehen. Was könnte denn ein erster Schritt für ein Unternehmen sein? Boydak: Das Thema RPA ist sehr gut für den Einstieg geeignet. Einige interne Kol- legen und ein externer Experte können sich ein oder zwei Prozesse vornehmen und diese mit relativ wenig Aufwand automatisieren. Wenn diese Übung ge- schafft ist, können sie das Ergebnis in der Organisation vorstellen, weitere An- wendungsmöglichkeiten sammeln und so allmählich die Kompetenz im Unterneh- men aufbauen. Wenn mit solchen klei- nen Piloten entsprechendes Wissen und Erfahrung aufgebaut worden sind, kann das Unternehmen auch größere Projekte wagen und eine KI-Strategie entwickeln. Welche Kompetenzen muss ein Topmanager haben, um das anstoßen zu können? Boydak: Der erste Schritt ist: Der Top­ manager braucht einen kompakten Über- blick darüber, was KI überhaupt ist und wie das im Groben funktioniert. Neben dieser Orientierung braucht er viele Bei- spiele als Anregung. Es muss geklärt wer- den, was diese Entwicklungen für das eigene Unternehmen bedeuten. Dann erst kann der Topmanager herausfinden, wel- che Technologien schon kurzfristig einen Wertbeitrag leisten können und welche für sein Unternehmen nicht relevant sind. Danach stellt sich die Frage: Wie können wir welche Technologie nun eigentlich einsetzen? Man sollte keine Angst vor Fehlern haben. Deshalb muss sich das Topma- nagement einen guten Überblick ver- schaffen, um letztlich entscheiden zu können, ob eine Investition sinnvoll ist und ob entsprechendes Know-how ins Unternehmen geholt werden muss. Das erfordert bei bestimmten Themen eben auch, sich selbst zu bilden, um mitreden zu können. Wie motivieren Sie jemanden, der sich mehr oder weniger hartnäckig dagegen sperrt? Boydak: Hype hin oder her, das Thema wird sehr schnell sehr wichtig werden. KI wird in alle Bereiche unseres Lebens Einzug halten. Wer in fünf Jahren noch jobfähig sein möchte – egal auf welchem Level – muss sich jetzt mit diesen The- men beschäftigen. Andernfalls kann man nicht mehr zu den Gestaltern gehören. Interview: Maxim Nopper-Pflügler

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