Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020
training und coaching 42 wirtschaft + weiterbildung 02_2020 Friedrich Glasl über die sogenannte „Methodensauberkeit“ Auf dem Ludwigsburger Mediationskongress 2012 wurde noch empfohlen, diese Grundsätze in „absoluter Reinheit“ zu praktizieren. Jetzt gilt eine Mediation laut Glasl auch dann als sinnvoll, wenn der Chef eine Mediation anordnet und bestimmte Mitarbeiter teilnehmen müssen. Statt Frei- willigkeit reiche eine „Willigkeit“, erklärte Glasl in einem Interview mit „Spektrum der Mediation“ (4/2019). Die Zeitschrift wird vom Bundesverband Mediation e. V. (www. bmev.de) he rausgegeben. Auch die Beteiligung aller Betroffenen sei nicht immer erfor- derlich. Bei größeren Konflikten könnten nur selten alle Konfliktbetroffenen am runden Tisch versammelt werden wie bei einer Familienmediation. Laut Glasl ist der Begriff der Allparteilichkeit aus einer schlechten Übersetzung von „multidirectional partiality“ entstanden. Man sollte lieber von einer „allempathischen Haltung“ sprechen, von „meta- parteilich“ oder „unparteilich“. Für einen Mediator bringe es überhaupt nichts, mit jeder Partei parteilich zu sein. Glasl Denkmodell. Die früher als essenziell bezeichneten Grundsätze der Mediation wie „Freiwilligkeit“, „Beteiligung aller Betroffenen“, „Allparteilichkeit“ und „Eigenverantwortung“ sollten differenzierter als bislang betrachtet werden, erklärt der Mediationspionier Prof. Dr. Friedrich Glasl. Friedrich Glasl. Der österreichische Kon- fliktforscher ist an der von ihm mitbegründeten Trigon-Entwicklungsbera- tung in Salzburg tätig. betonte mit Blick auf seine praktische Arbeit: „Mit einer streng dogmatischen Anwendung wäre ich zum Scheitern verurteilt. Bei der geringsten Abweichung müsste ich die Mediation abbrechen.“ Die Ratsuchenden seien aber nun einmal an einer Lösung ihres Konflikts interessiert und wie man sich leicht vorstellen könne nicht an methodischen Auslegungsfragen. Auch ein weiteres Dogma der Mediation muss man offen- bar kritisch sehen. Es heißt: „Nur keine Lösungen anbie- ten.“ Laut Glasl sind ab einer bestimmten Konfliktintensi- tät die kreativen Potenziale aller Konfliktparteien massiv blockiert und verschüttet. Glasl: „Würde ich hier nicht den geringsten Hinweis auf eine mögliche Lösung andeuten, lasse ich die Beteiligten, oft verzweifelt gefangen in ihren Kreativitätsblockaden, alleine.“ Auf keinen Fall dürfe ein Mediator aber nur eine einzige Idee als Lösungsweg andeu- ten. Die Eigenverantwortung bleibe so bei den Beteiligten. Der Mediationspapst erwähnte am Rande des Interviews, dass er gerne Märchen und Metaphern einsetze, um den Beteiligten zu helfen, wieder einen Zugang zu ihren kreati- ven Ressourcen zu finden. Buchtipp: Im letzten Sommer 2019 ist die 2. Auflage von „Mediation – das Praxisbuch: Denkmodelle, Methoden und Beispiele“ von Silke Freitag und Jens Richter erschienen (Beltz Verlag, Weinheim 2019, 230 Seiten, 39,95 Euro). Das Buch bietet einen praktischen und einen theoreti- schen Zugang zur Mediation. Es steht auf den Schultern der „Hamburger Schule“, die von der Kommunikationstheo- rie von Friedemann Schulz von Thun und Alexander Redlich geprägt ist. Neu ist ein Kapitel zum Umgang mit informeller Macht. Martin Pichler dem anderen damit vielleicht auf den Geist, doch vielleicht ist das genau der Weg, den Sie zu gehen haben, um am Ende weniger rätseln zu müssen. 4. Fehldeutungen. Sie haben alles richtig gemacht – kein Widerwille, keine Überforderung, keine Verwirrung. Doch Sie haben missver- ständlich interpretiert. Das Gegenüber hat die Arme verschränkt und Sie den- ken: „Aha, der geht gerade in den Wider- stand!“. Dabei hat er es sich nur bequem gemacht. Hätten Sie nichts Falsches hi- neininterpretiert, hätte die Unterhaltung einen guten Verlauf genommen. So aber wurde es unnötig kompliziert. Trotz all dieser Risiken bleibt festzuhal- ten: Der Blick auf die Wahrnehmungs- ebenen lohnt sich, denn er liefert wert- volle Informationen über das, was unter der sichtbaren Oberfläche verborgen sein könnte. Bertolt Brecht hat mal gesagt: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Übertragen auf die Wahrnehmungsebenen können wir formulieren: Wer versucht hinzu- schauen, kann verlieren, im Sinne von sich irren. Wer bewusst nicht hinschaut, hat schon verloren, im Sinne einer vorsätzlichen Ig- noranz. Die Wahrnehmungsebenen sind keine Zauberei. In den ersten Lebensjah- ren lernt sie jeder Mensch, es gilt jetzt, sie wieder zu entdecken. Phlipp Karch R
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