Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020

wirtschaft + weiterbildung 02_2020 33 Rita Pauls. Sie ist Vorsitzende des Aufsichtsrats der Berlitz Deutsch- land GmbH und Direktorin internationale Fachkräftevermittlung. Pauls: Das sind überwiegend Klinikver- bände oder einzelne Kliniken, bundes- weite und regionale Pflegedienstleister oder auch Personalvermittler. In anderen Branchen sind es Unternehmen in der IT- Branche, im Bau oder der Industrie und Personaldienstleister. In welchen Branchen ist der Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland denn am größten? Pauls: In reglementierten Berufen, die auch gesellschaftspolitisch eine große Rolle spielen, wie in der Pflege und bei Ärzten. Hier ist der Fachmangel beson- ders groß: Allein in 2020 werden bundes- weit insgesamt rund 5.000 weitere Ärzte benötigt. Dieser Bedarf lässt sich mit deutschen Medizinern bei Weitem nicht decken. Schon heute kommt jeder Achte der rund 400.000 Ärzte aus dem Aus- land, die Tendenz ist weiter steigend. Das Gleiche gilt für den Pflegebereich: Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft werden in 2020 in der ambu- lanten und stationären Pflege insgesamt 376.000 Pflegekräfte benötigt. Besonders betroffen ist auch die Baubranche: Laut Arbeitsmarktreport 2019 der Deutschen Industrie- und Handelskammer suchten 61 Prozent der Bauunternehmen 2018 vergeblich nach passenden Mitarbeitern. Das IW Köln beziffert den aktuellen Man- gel an Fachkräften im Baugewerbe auf 70.000 Stellen. In anderen Branchen ist der Bedarf ähnlich hoch, beispielsweise bei Hotels und Gaststätten, Handwerk, Technik, IT und Logistik. Warum schließt man die Lücke bei den Pflegekräften nicht mit den Flüchtlingen aus den nordafrikanischen Ländern oder Afghanistan? Pauls: In Ländern wie Mexiko oder den Philippinen gibt es zahlreiche sehr gut ausgebildete Krankenschwestern und Pflegerinnen, die bereit sind, ihr Heimat- land dauerhaft zu verlassen, weil sie in Deutschland die Chance sehen, sich eine Existenz aufzubauen und deshalb hoch motiviert sind. Die vorhandene Qualifi- kation, die Einstellung sowie das Pflege- verständnis der Fachkräfte sind entschei- dend für die erfolgreiche Integration. Bei der Fachkräftevermittlung geht es um Erwerbsmigration. Diese ist von der Fluchtmigration zu unterscheiden. Die Fachkräfte werden bereits gezielt im Ausland rekrutiert und in der Regel rund sechs Monate bereits im Heimatland auf Beruf und Leben in Deutschland gründ- lich vorbereitet. Für die proaktive Anwer- bung von Fachkräften im Ausland gibt es bereits jetzt klare gesetzliche Bestimmun- gen. In Ländern wie Afghanistan oder Marokko beispielsweise dürfen private Anbieter aus Deutschland keine Pflege- fachkräfte anwerben und ausbilden, weil die Fachkräfte in ihren Ländern dringend benötigt werden. Wer bezahlt diese Sprachkurse im Ausland, beispielsweise für die Altenpflegerinnen in Mexiko? Pauls: Die Unternehmen sind Auftrag­ geber und bezahlen für die Rekrutierung und Ausbildung ihrer Fachkräfte. Wie teuer ist das? Pauls: Als Faustregel kann man etwa von 5.000 Euro für die Sprachausbildung von A1 bis B1 ausgehen. Manche Unter- nehmen zahlen ihren angehenden Fach- kräften zudem eine monatliche Lebens- begleitung, damit sie sich voll auf ihre Sprachausbildung in ihrem Heimatland konzentrieren können. Wenn die Pfle- gekräfte, aber auch andere Fachkräfte in Deutschland angekommen sind, dann fol- gen hier in der Regel weitere Sprachkurse bis zum B2-Niveau. Den müssen sie auch bestehen, um als Pflegefachkraft die be- rufliche Anerkennung zu erhalten. Davor sind sie als Pflegehelferinnen tätig. Das ist ein hohes Investment für die Firmen und Kliniken … Pauls: Es gibt keine Alternative, weil die Fachkräfte hier in Deutschland dringend gebraucht werden. Gilt das auch, wenn Deutschland in eine Rezession gleitet? Pauls: Der Fachkräftemangel wird blei- ben, selbst wenn sich die Wirtschafts- lage eintrüben sollte, denn Unternehmen bauen dann vor allem im Management ab oder in Bereichen, die sich leicht digitali- sieren lassen. Fachkräfte, beispielsweise im Pflegebereich, Bau- und Handwerk, sind davon nicht betroffen. Interview: Martin Pichler Foto: Berlitz

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