Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020
personal- und organisationsentwicklung 26 wirtschaft + weiterbildung 02_2020 R Herrgott. Wenn er gesagt hat, du machst einen Handstand, dann hast du einen Handstand gemacht“, erinnert sich ein Meister aus der Produktion. Konnte man bisher anhand kleiner Artefakte wie der Höhe des Sessels, der Größe des Schreib tischs, der Einfahrtsberechtigung ins Werk den Rang einer Person erkennen, so ist dies subtiler geworden und neben der hierarchischen Stellung ist auch die jeweilige Rolle im Prozess ein wichtiges Differenzierungskriterium. Lang eingeübte Kommunikationsmuster werden außer Kraft gesetzt und so ent steht Unsicherheit: „Die Schulterklappen fallen weg. Wenn du dann jemanden anrufst, bist du nicht sicher, welcher Mensch dran ist. Und obwohl du denkst, dass du selbstverständlich offen dafür bist, bist du es nicht“, hat der HR-Leiter beobachtet. Auch das Arbeiten mit Proto typen, die in iterativen Schleifen verprobt werden, konfrontiert mit einem Paradig menwechsel, der erklärungsbedürftig ist. „Wenn das grundsätzliche Streben nach Perfektion nicht mehr gilt und 80 Pro zent der möglichen Qualität oft ausreicht, dann verstehen das viele unserer Nutzer nicht“, gibt ein nachdenklicher IT-Mitar beiter zu bedenken. Spannung bei der Verteilung von Ressourcen Das Nebeneinander von Linienorganisa tion und agiler Projektarbeit führt, wie nicht anders zu erwarten, zu Spannun gen – zum Beispiel, wenn es um die Ver teilung von Ressourcen geht. Die agile Projektarbeit findet für viele Teammit glieder neben der operativen Arbeit statt. Für viele ist dieses Nebeneinander von alter und neuer Logik unbefriedigend. Das agile Arbeiten benötigt Zeit. Diese ist aber nicht in ausreichendem Maß vor handen, da die Teammitglieder nach wie vor durch ihre Aufgaben in der Linienor ganisation eingebunden sind. Trotz der hohen Aufmerksamkeit für agi les Arbeiten gibt es wenig offiziell ein geplante Zeit für das Arbeiten in agilen Teams. Das hat durchaus negative Effekte auf die Prozess- sowie die Ergebnisquali tät: „Es ist schwierig, ein Momentum auf zubauen, wenn die Kollegen einmal die Woche da sind und Ideen einbringen, die aber keiner umsetzt“, betont ein interner Trainer. Nicht immer zeigen sich die erwünsch ten Effekte des agilen Arbeitens. Eine wichtige Erfahrung ist, dass es auf den Anwendungskontext ankommt und agile Arbeitsformen nicht zu jedem Kontext passen: „Agile Methoden haben gut funktioniert, wo klar war, was die ein zelnen Elemente sind und was die User- Story ist, die wir umsetzen wollen. Ganz viele andere Themen waren vielleicht zu groß oder zu vage, da hat es nicht funk tioniert“, berichtet ein interner Agilitäts- Coach. Teilweise heißt es auch vonseiten der Mitarbeiter, dass agile Arbeitsformen zu Ergebnissen führen, die nicht anschluss fähig an das Bestehende sind. Dann wird das agile Arbeiten eher als Mehrarbeit empfunden und erzeugt Frust. So erin nert sich eine erfahrene Mitarbeiterin aus dem HR-Bereich: „Wir dachten nach, wie wir das Social Intranet einsetzen könn ten. Wir haben dann wirklich auch einen Design-Thinking-Workshop gemacht. Da wird dann das Optimale generiert, aber die Zeit war nicht reif, irgendetwas davon umzusetzen. Am Ende wird damit gar nichts gemacht. So ein Workshop-Tag frustriert viele Leute.“ Zunehmend wird genauer hingeschaut, in welchem Anwendungskontext welche Zusammenarbeitsform und welcher Orga nisationsansatz sinnvoll ist und damit ist auch die Frage verbunden, wie dies fest gestellt werden kann und wer entschei det, wann was richtig ist: „Wir brauchen beides. Wir können nicht komplett auf agil umstellen. In manchen Feldern müs sen wir einfach effizient sein“, sagt ein IT-Leiter. „Die Frage ist doch: In welchen Feldern müssen wir innovativ sein und uns weiterentwickeln? Da müssen wir in einem anderen Modus unterwegs sein. Das wird die Herausforderung bleiben.“ Transparenz als neue Form der Kontrolle? Die neuen, hochstrukturierten Formate werden als eine neue Form der Kontrolle erlebt, da sie die Interaktionen in den Teams durchtakten. Eine transparente Aufgabenverteilung und permanentes Feedback machen den individuellen Ar beitsstand im Team sichtbar und ermög lichen soziale Vergleiche. „Die agilen Ar beitsmethoden sind deutlich operativer, als man sich es vorstellt, sehr strikt und kleinteilig. Agil bedeutet geplant und in keiner Weise chaotisch oder unstruktu riert“, erklärt ein HR-Mitarbeiter. Die bis her hierarchische Kontrolle wird durch die permanente Vergleichbarkeit mit an deren ersetzt und über soziale Medien technisch untermauert. „Agiles Arbei ten bedeutet Transparenz, Transparenz, Transparenz – bis zum Letzten. Es stellt dar, wer macht hier eigentlich was und wer macht vielleicht auch nichts.“ Auch die Neuheitsrhetorik hinterlässt ihre Spuren. So erregten neue Formen des Organisierens wie zum Beispiel Design Thinking am Anfang viel Aufsehen. Doch das Thema verliert schnell seinen Neuig keitswert, zumindest für die Spitze eines Konzerns. Ein HR-Mitarbeiter berich tet: „Der Hype um Design Thinking war dann auch schnell vorbei. Wir haben die Programme abgeliefert und der Vorstand hat einen Haken dahinter gesetzt. So ein Vorstand dreht sich dann auch schnell um und dann ist das nächste Thema am Köcheln.” Das Kommen und Gehen von Initiativen und Ideen erzeugt Skepsis und Zynismus in der Organisation. Intelligente Kombinationen als Führungsherausforderung? Unser Fallbeispiel zeigt: Die Koexistenz von hierarchischen und agilen Arbeits formen und Organisationsansätzen pro duziert neue Spannungsfelder, die bear beitet werden müssen. Wir deuten die erlebten Spannungen und Widersprüche dabei weniger als ärgerliche, noch zu überwindende Probleme in der Umstel lungsphase. Vielmehr sollte der Umgang mit diesen Spannungen zwischen agilen und hierarchischen Formen des Organi sierens als neue Führungsherausforde rung begriffen und bearbeitet werden. Es muss sichergestellt werden, dass beide Formen des Organisierens sich nicht blo ckieren, sondern die kollektive Intelligenz beim Einsatz beider Formen erhöht wird. So können agile Arbeitsformen in gro ßen Organisationen auf Dauer Wirkung entfalten und nicht – wie viele andere Moden zuvor – in den Schubladen ver
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