Wirtschaft und Weiterbildung 2/2020
personal- und organisationsentwicklung 22 wirtschaft + weiterbildung 02_2020 R Betriebssystem irritationsbereiter wer den? Klassische Planungslogik und agile Formen des Organisierens koexistieren in diesen Organisationen in der Regel. Inte ressant ist, wie mit den damit zwangsläu fig entstehenden Spannungen und Wider sprüchen umgegangen wird. Doch was meinen wir überhaupt, wenn wir vom agilen Organisieren sprechen? Auch wenn Agilität heute wie eine Revo lution erscheint, so hat sich die Grund idee des Agilen historisch schrittweise, eher evolutionär entwickelt. Erste Er folgsberichte über das selbstorganisierte Arbeiten in Teams gibt es bereits in den Fünfzigerjahren. So etwa schaffte der amerikanische Flugzeugbauer Lockhead im Jahr 1943 das scheinbar unmögliche Ziel, den Kampfjet P80 in nur 180 Tagen zu entwickeln. Das Ingenieursteam wurde von jeder Form von Bürokratie ab geschottet, damit es selbstorganisiert in einem Zelt und in engem Kontakt mit den Nutzern des Jets arbeiten konnte (Buch tipp: B. Gloger und J. Margetich: „Das Scrum-Prinzip: agile Organisationen auf bauen und gestalten“, Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2014). Erste Spuren des Agilen finden sich auch in der Hochrisikoforschung: Die Organi sationsforscher Karl Weick und Kathleen Sutcliffe (Buchtipp: K. E. Weick und K. M. Sutcliffe: „Das Unerwartete managen: Wie Unternehmen aus Extremsituatio nen lernen“, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, dritte Auflage 2016) fanden heraus, dass Organisationen dann besonders zuver lässig sind, wenn sie sich in unerwarte ten Situationen sehr anpassungsfähig zeigen. Neben den üblichen strikten Re geln bilden sie nämlich ganz anders ge baute „achtsame” Praktiken aus, die das gleichberechtigte Sensemaking im Team fördern und dazu auffordern, den hierar chischen Vorgaben im Ausnahmefall zu widersprechen. Agilitätskonzepte greifen solche empiri schen Erfahrungen auf und spitzen sie weiter zu. Wurde bei den genannten An sätzen der Hierarchie nur punktuell wi dersprochen, so ist es die Idee des Agilen, die bisher dominante „Oben-Unten-Lo gik“ durch eine neue Logik des Organisie rens abzulösen, bei der sich künftig alles um „Innen“ und „Außen“ drehen soll. Jetzt dreht sich alles um den Auftrag des Kunden Wurde also bisher oben in der Hierar chie entschieden, was richtig und falsch ist, um dies durch die unteren Einheiten interpretieren und passend machen zu lassen, so steht beim agilen Organisieren nun der Auftrag im Zentrum. Die Spitze verliert ihre Deutungshoheit über richtig und falsch und entscheidet nur noch, welche Projekte wie viele Ressourcen be kommen und wie lange sie gehen. Agile, irritationsbereite Teams untersuchen die Bedürfnisse des Kunden und erzeugen fortwährend Ideen für mögliche neue Aufträge, die es in iterativen Schleifen und wiederum in Auseinandersetzung mit der Außenwelt zu testen gilt. Das agile Manifest, verfasst von Softwareent wicklern, illustriert diese radikale Orien tierung am Kunden. Die von uns untersuchten Großorganisa tionen brachten bisher unzählige interne Seit einigen Monaten mehren sich kriti sche Berichte, die von gravierenden Pro blemen bei der Einführung von agilen Arbeitsformen in Großunternehmen han deln. Hat die neue Zauberformel „Agili tät“ bereits ihren Zenit überschritten? So liest man zum Beispiel im „Handelsblatt“ vom 22. November 2019 über die Schat tenseiten der „New-Work-Illusion”: Ge rade viele Konzerne hätten sich mit dem Label „agil“ und hippen Büroräumen nur halbherzig einen neuen Anstrich gege ben, um für die Generation Y und Z at traktiver zu werden, während im Inneren nach wie vor die gewohnte Planbarkeits logik herrscht. Dabei werde Selbststeue rung von vielen Mitarbeitenden auch gar nicht gewünscht – weil zu viel Unsicher heit und zu viel Verantwortung über den Einzelnen hereinbreche. War alles nur heiße Luft? War wieder mal nicht alles Gold, was auf den vielen bunten Post-its glänzte? Typische Einführungs- erfahrungen in Konzernen Wir wollen hier die bisherigen Einfüh rungsversuche von agilen Arbeitsformen in Konzernen genauer untersuchen: Was können andere Unternehmen lernen, die anpassungsfähiger werden wollen? Anders als die Netzwerkgiganten wie Google, Facebook oder Netflix fangen diese Großorganisationen nicht auf der grünen Wiese an, sondern gründen ihren bisherigen Erfolg auf eine Form des Orga nisierens, die rund um Ideen der Hierar chie und Planbarkeit gebaut ist. Wie kann diese Organisation nun bei laufendem Gleichzeitig agil und hierarchisch arbeiten? FORSCHUNGSPROJEKT. Was passiert, wenn die Logiken des klassischen und des agilen Organisierens aufeinandertreffen und welche Herausforderungen ergeben sich dann für die Führungskräfte? Dr. Annette Gebauer und Simon Weber haben im Rahmen eines Forschungsprojekts die Einführung agiler Prinzipien am Beispiel eines Unternehmens aus der Automobilbranche beobachtet.
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