Wirtschaft + Weiterbildung 6/2020
training und coaching 44 wirtschaft + weiterbildung 06_2020 Besucher hat Hunderttausende Follower und verdient als Influencer sein Geld. Also wollen auch von ihnen nicht wenige Influencer werden. Die Folge: Auch ich und meine Mitarbeiter pflegen auf Kun- denwunsch neben den Webseiten auch die Social-Media-Kanäle mehrerer Trai- nings- und Beratungsunternehmen – eher ungern, da wir die Bedeutung der dorti- gen „Fast-Food-Kommunikation“ als eher gering fürs Marketing im B2B-Bereich er- achten und felsenfest überzeugt sind: Ein persönlicher Kontakt ist mehr als wert als 1.000 digitale. Doch leider sind wir nicht alleine auf dieser Welt. Es gibt ganze Heerscharen von Dienstleis- tern, die Unternehmen beim Optimieren ihrer Webseite sowie beim Aufbau und Pflege von Social-Media-Kontakten un- terstützen – Dienstleister, die zumindest laut ihrer Außendarstellung deutlich grö- ßere Agenturen als unsere Drei-Mann- und-Frau-Klitsche sind und namhaftere Kunden als wir haben, weil diese zum Beispiel Markenartikler und Onlineshop- Betreiber sind. Mit diesen SEO-, Online- Marketing- und Social-Media-Experten sprechen auch unsere Beraterkunden. Dies führt zum Teil zu völlig absurden Situationen. So rief uns zum Beispiel Anfang März freitagnachmittags der Inhaber eines Be- ratungsunternehmens an, dessen Social- Media-Account wir mitbetreuen. Er sagte uns, er habe mit mehreren ausgewiese- nen Social-Media-Experten gesprochen und diese hätten ihm übereinstimmend versichert: „Bei Linkedin muss man min- destens vier Posts pro Tag platzieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden und etwas zu bewirken.“ Ich sah das anders, also argumentierte ich dagegen. Doch aufgrund der geballten Kompetenz der mir unbekannten anderen Social- Media-Experten konnte ich unseren Kun- den nicht überzeugen. Also versprach ich ihm: „Wir arbeiten darauf hin, künftig täglich vier wertige Posts pro Tag auf Lin- kedin zu platzieren.“ Danach verabschie- dete ich mich ins Wochenende. Doch kaum war ich montagmorgens wie- der im Büro, rief mich eine Kundin an, deren Linkedin-Account wir ebenfalls pflegen. Sie teilte mir mit, sie habe in den letzten Tagen mit mehreren Social-Media- Experten gesprochen und diese hätten übereinstimmend betont, man solle auf Linkedin keinesfalls mehr als einen Post pro Tag platzieren, sonst würden die Fol- lower dies als „Spam“ empfinden. Weil die Maxime „Maximal ein Post pro Tag“ unserer Kundin so wichtig war, versprach ich ihr: „Künftig halten wir uns an diese Vorgabe.“ Doch welche „Einflüsterer“ haben nun recht: diejenigen, die unserem Kunden sagten „mindestens vier Posts pro Tag“ oder die, die unserer Kundin sagten „ma- ximal einen Post pro Tag“? Hierzu habe ich eine klare Meinung, doch diese äu- ßere ich hier nicht, denn egal, was ich sage, stets werden mir -zig Experten wi- dersprechen. Auffallend finde ich jedoch: Kein „Experte“ sagte unseren Kunden, was sie posten sollten, um eine reelle Chance zu haben, dass ihre Adressaten, nämlich die Topentscheider in den Unter- nehmen, sie als Kontakte annehmen oder ihre Posts eventuell lesen? Das ist in ihren Augen offensichtlich weniger relevant, als ob man ein oder zwei Posts pro Tag auf Linkedin hochlädt und dies morgens oder abends geschieht. Ähnliche Erfahrungen sammeln wir im SEO-Bereich. Abhängig davon, mit wel- chem SEO-Experten Berater sprechen, erhalten sie mal diese und mal jene Antwort, was sie tun sollten, damit ihre Webseite gut im Netz gefunden und oft besucht wird – denn jeder hat wie wir mindestens ein schlaues Programm, das ihm sagt, wo in der Webseite noch viel Optimierungspotenzial steckt und auf welche Suchbegriffe man die Webseite optimieren sollte. Das Problem ist nur: Diese Programme sind wie fast alle Ana- lyseprogramme dumm. Sie berücksichti- gen bei der Analyse zum Beispiel nicht: • Hat der Berater bei einem so stark umkämpften Begriff wie „Leadership“ oder „Digitale Transformation“, „Pro- jekt-“ oder „Change Management“ überhaupt eine realistische Chance, in der Google-Trefferliste auf Seite 1 oder 2 zu landen oder ist die Konkurrenz hierfür zu stark? • Steht der hierfür erforderliche Input in einem angemessenen Verhältnis zum Ertrag oder sprengt er die Ressourcen des Beraters? Solche Fragen fließen leider weder in die Ergebnisse der Auswertungen der Analy- seprogramme noch in die Empfehlungen vieler SEO-Berater ein. Diese mögen zwar zuweilen durchaus ihre Berechtigung für Großunternehmen haben, deren Ressour- cen nahezu unbegrenzt sind, oder für Un- ternehmen wie Zalando, die reine Online- händler sind. Für unsere Kunden sind sie aber meist falsch, da sie in der Regel nicht im B2C-, sondern B2B-Bereich tätig sind und ihre Marketingressourcen recht über- schaubar sind. Trotzdem verwirren die SEO-Berater mit den „objektiven Daten“, die ihnen ihre Analyseprogramme au- tomatisiert im Schnelldurchlauf liefern, immer wieder unsere Kunden. Und wir stehen dann vor der oft ziemlich aus- sichtslosen Aufgabe, Kunden zu erklären: „Das mag ja alles schön und gut sein, was Ihnen der SEO-Berater gesagt hat, doch …“. Auch wir sind nur ein Anbieter unter vielen. Deshalb führt für Berater gleich welcher Couleur kein Weg daran vorbei, sich so intensiv mit dem Thema Online-Marke- ting und der damit verbundenen Technik zu befassen, dass sie zumindest eine Be- wertungskompetenz bezüglich der Vor- schläge der Agenturen haben. Zudem müssen die Berater ausgehend von ihrem Markt und ihren Zielkunden eine Marke- ting- und Vertriebsstrategie für ihre Orga- nisation entwickeln, die ihre On- und Off- line-Marketing-Aktivitäten so verzahnt, dass hieraus ein vernetztes System wird. Bernhard Kuntz R Bernhard Kuntz ist Geschäftsfüh rer der Profilbera- ter GmbH, Darm- stadt, die Trainer, Berater und Coachs bei der Vermark- tung ihrer Person und Organisation unterstützt. Er ist Autor der Marketing- und PR-Ratgeber „Die Katze im Sack verkaufen“, „Fette Beute für Trainer und Berater“ sowie „Warum kennt den jeder?“. Die Profilberater GmbH Eichberg 1, 64285 Darmstadt Tel. 06151 89659-0 www.die-profilberater.de AUTOR
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==