Wirtschaft + Weiterbildung 6/2020
personal- und organisationsentwicklung 28 wirtschaft + weiterbildung 06_2020 onen, bei denen die Führungskräfte der Stadtverwaltung Rede und Antwort ste hen, aber auch ihre eigene Not und Ver letzlichkeit glaubhaft vermitteln. Dabei geht es nicht nur um digitale Fähigkeiten und verschiedene Werkzeuge, sondern auch um die nötige Haltung. „Input zu digitalen Fähigkeiten nehmen die Leute dankbar an, aber was sie vor allem die ser Tage suchen, ist Verbindung“, meint der Event-Profi. So bringe die digitale Welt zwei Elemente zusammen. Einer seits brächten offene Seminare oft keinen großen Mehrwert für die tägliche Arbeit. „Jeder Trainer wird ehrlicherweise zuge ben müssen, dass die Teilnehmer, wenn sie nach einem 2-Tages-Workshop an die Arbeit zurückkehren, den Großteil des Inputs schnell wieder vergessen, weil sie ihn nicht sofort anwenden können.“ So wohl im analogen als auch im digitalen Raum gehe es um persönliche Begegnun gen und „The Art of Hosting“ (die Kunst, Gastgeber zu sein), was sich nun mit häppchenweise verpackten Lernportio nen kombinieren lasse. Tools sind auch nur Mittel zum Zweck Tools sind auch dabei nur ein Mittel zum Zweck – beispielsweise um einen „La gerfeuer-Raum“ über Videokonferenz zu eröffnen, an dem Menschen die Möglich keit zum freien Austausch finden können oder einen Helpdesk für Fragen jeder Art einzurichten. Für asynchrone Kommu nikation und inhaltliche Informationen nutzt „virtualcollaboration.works“ die finnische Kollaborationsplattform „How space“. Letztlich komme es aber auf die ge schickte Kombination verschiedener Art- of-Hosting-Methoden an, damit die Teil nehmenden Vertrauen schöpfen und eine emotionale Verbindung aufbauen kön nen. Ein Live-Musikvideo zum Einstieg, ein Facilitator, der den Gesprächsfluss im Lagerfeuerraum am Laufen hält, ein DJ zum Ausklang eines virtuellen Events: „Unser Markenzeichen ist die Fähigkeit, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen und damit die Menschen für neue Lernerfahrungen zu öffnen. Da durch verändern sich die Prozesse der Zusammenarbeit nachhaltig.“ Viele Vorreiter für Lernformate, die grö ßere Digitalkompetenz adressieren, for dern ein neues Mindset: die Überzeu gung, dass das alles nicht so schwer ist und man neue Tools beherrschen kann, wenn man sie denn ausprobiert. Gerade Führungskräfte zeichnen sich hierbei offensichtlich durch ein großes Selbstbe wusstsein aus: Laut einer repräsentativen Umfrage unter rund 600 Unternehmen aller Branchen im Auftrag des Digitalver bands Bitkom bewertet jeder sechste Be fragte auf Vorstands- oder Geschäftsfüh rerebene die eigene Digitalkompetenz mit „sehr gut“ und jeder Dritte mit „gut“. Al lerdings gibt es auch eine grundsätzliche Skepsis neuen Technologien gegenüber und vielen fehlt die Zeit, sich damit zu beschäftigen. Wie passt das zusammen? Die neuen Selbstlernformate laufen dem nach an den Chefetagen vorbei. Anders verhält sich dies jedoch in Un ternehmen, die schon vor der Krise eine Kulturtransformation angestoßen und durch eine Leadership- und Kompetenz entwicklung die Voraussetzungen für mo dernes Arbeiten geschaffen hatten. Laut einer Befragung der Energy Factory St. Gallen um Prof. Dr. Heike Bruch gemein sam mit HR Pepper Management Consul tants, an der 307 Personen aus Unterneh men verschiedener Größenklassen und Branchen teilgenommen haben, können New-Work-Vorreiter aktuell ihre Potenzi ale noch umfassender nutzen, während andere Firmen ihre Chancen bisher unge nutzt lassen. Ein erstes Fazit der Studie: „Zurzeit haben gerade Topführungskräfte die Chance, die aktuellen Lernerfahrun gen für eine wirkliche New-Work-Trans formation zu nutzen.“ Firmen wie SAP haben bis Ende des Jah res alle Präsenzschulungen abgesagt, Mi crosoft schließt Vor-Ort-Events sogar bis Juni 2021 aus. Andere Unternehmen sind mit dem Wiederhochfahren ihrer Aktivi täten nach dem Lockdown beschäftigt. Simon Dückert kennt die Lern-Heraus forderungen in der Automobilindustrie: Manche Pflichtschulungen, um beispiels weise mit Elektrofahrzeugen umzugehen, seien nun als Präsenztraining schwer durchführbar. Statt 14 Personen in einem Raum ist maximal die Hälfte zugelassen. Darüber hinaus müssen alle Teilnehmen den Maske tragen. 3D-Anwendungen ge winnen dann an Bedeutung. Doch selbst virtuelle Angebote scheitern bisweilen, wenn zu viele Mitarbeitende in Kurzar beit sind. Zudem würden Personalabteilungen in puncto Digitalkompetenz oft nicht als Enabler, sondern als Verhinderer gese hen. So erklärt sich der Cogneon-CEO, dass vor allem Barcamps derzeit boomen, die oft an HR vorbei organisiert würden. MOOCs (Massive Open Online Courses) hingegen, die Formen der Wissensver mittlung mit Community-Building verbin den und oft in HR-Abteilungen angesie delt würden, dümpelten gerade unterhalb ihrer Möglichkeiten dahin. „In MOOCs steckt noch ein Riesenpotenzial. Aber HR beschäftigt sich lieber mit Klassenräu men, klassischen Weiterbildungskatalo gen oder formalen Trainings.“ Optimistischer Ausblick: Es lebe der neue Lernmix Vielleicht könnte sich dies nun merklich ändern. Die Experimentierbereitschaft im Umgang mit neuen Tools hängt viel von konkreten Anlässen ab, wie Guido Perl bei Bayer beobachtet. Klassische Trainings, E-Learning oder MOOCs hät ten auch künftig ihre Berechtigung, nun könnten die Kollegen aber gemäß ihrer Interessenslage neue Dinge flexibler aus probieren. Integrierte Umgebungen mit einem Mix aus Tools und Methoden – so dürfte die Zukunft der digitalen Kompetenzentwick lung aussehen. Break-out Sessions über Zoom, die Zufallseffekte nutzen, infor meller Austausch in Chatkanälen oder das gemeinsame Brainstorming am digi talen Whiteboard, dafür braucht es einen hohen Grad an „Digital Literacy“. Deshalb stellen Anbieter aktuell ihre Plattformen auf eine möglichst breite Basis. Egal ob MS Teams oder Zoom, ständig kommen neue Features hinzu. Viele Eventveran stalter erproben aktuell neue Einsatz szenarien der Technik, um Menschen noch besser für Lernanlässe zusammen zubringen. Dennoch ist auch Skepsis an gebracht, wie Simon Dückert meint: „Wir können nicht in wenigen Wochen mit der Brechstange nachholen, was wir die letz ten Jahre versäumt haben.“ Stefanie Hornung
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