Wirtschaft + Weiterbildung 6/2020
R wirtschaft + weiterbildung 06_2020 27 neue Denkansätze für schwierige Fra gen zu finden. Die Teilnehmenden bil den normalerweise im physischen Raum zwei Kreise, einer in dem anderen. Jede Person steht einer anderen gegenüber und vervollständigt einen offenen Satz in weniger als dreißig Sekunden. Wenn die Zeit abgelaufen ist, bewegen sich alle zur nächsten Person weiter. Ins Digitale übersetzt hieße das, viele Zweier-Break out-Sessions zu koordinieren. Doch es geht besser: Beim Teams-Barcamp konn ten alle Teilnehmenden gleichzeitig ihren Input in den Chat eingeben und auf ein gemeinsames Go abschicken. „Das ergibt einen kleinen Sturm an Sichtweisen und Ideen. Gleichzeitig hat das etwas Leichtes und Spielerisches und fördert das Gefühl, etwas zusammen zu tun.“ Außerdem entsteht laut Guido Perl bei Online-Barcamps viel mehr Dokumenta tion, etwa über One Note und Video-Auf zeichnungen der Sessions. „Das ist ein super Nachschlagewerk. Ich schaue im Nachhinein immer mal wieder hinein.“ Das hat auch Simon Dückert beobachtet. Er hat bereits umfassende virtuelle Bar camp-Erfahrung gesammelt, etwa beim Corporate Learning Camp Ende März. Kurzfristig mussten die Veranstalter das Event ins Netz verlegen. Sie entschieden sich für eine einfache Lösung: einen zen tralen Zoom-Channel für Eröffnung und Ausklang, einen Session-Plan als Google Doc, wo jeder Teilgeber Thema und den Link zur Session mit selbstgewähl ter Lösung eintrug und eine „Telegram- Gruppe“, um gemeinsam miteinander zu chatten. Neuer Schub für das Wissensmanagement Der Cogneon-Gründer Dückert hat auch schon mit anderen Lösungen Barcamps bei seinen Auftraggebern in Unternehmen begleitet. Die Schriftform werde dabei immer wichtiger, Beschäftigte müssten aufgrund des stärkeren Dokumentati onsbedarfs präzise schreiben können. „Durch Chats und Konferenzmitschnitte wird Wissen für eine größere Zahl an Kollegen zugänglich. Was Unternehmen lange mit Wikis versucht haben, aber am zusätzlichen Aufwand scheiterte, könnte nun einen Schub fürs Wissensmanage ment bringen.“ Der CEO von Cogneon berichtet von einem Projekt der Deutschen Telekom. Dabei werden bisherige Eventformate wie Businesskonferenzen, Town Halls, Hacka thons, Barcamps, Open Spaces, Meetups, Fuck-up Nights oder Liberating Structures auf ihre Übertragbarkeit ins Digitale hin überprüft. Gerade Barcamps, die vorher schon für dezentral arbeitende Teams zugeschnitten waren, hätten gute Aus gangsbedingungen für Onlineausgaben. Das zeige auch die Erfahrung im VW- Konzern, wo es schon vor der Krise Bar camps für die Entwickler-Community von E-Antrieben zusammen mit ihren Peers bei Töchtern wie Porsche und Audi gab. „Durch die physische Distanz zwischen deren Arbeitsorten sind diese Beschäftig ten schon länger in den nötigen digitalen Skills geübt.“ Virtuelle Events reduzierten nicht nur die Reisezeiten, sondern erhöh ten darüber hinaus auch die Qualität und Internationalität der Impulsgeber. „Für Zeit und Raum gibt es derzeit keine gro ßen Restriktionen. Wo früher für Events oft nur Unternehmensvertreter oder Refe renten aus der Durchreise infrage kamen, öffnet sich nun der Zugang zu den welt besten Experten, solange sie einigerma ßen zur Zeitzone passen“, so Dückert. Die Kunst, ein guter Gastgeber zu sein In Sachen Internationalität macht Hol ger Nauheimer niemand so leicht etwas vor. Der Facilitator von Lernprozessen und Events in Organisationen ist seit 25 Jahren im digitalen Netzwerkgeschäft. Als Early Adopter des Internets verbindet er den Umgang mit Tools und Coaching- Methoden mit einer internationalen Com munity. Auch für den Veranstalter der „Berlin Change Days“ war der Shutdown zunächst ein Schock, da er wie ein Da moklesschwert über der Beraterbranche stand. Die Krise als Chance – das nahm er jedoch wörtlich, trommelte rund 30 Kolle gen auf der ganzen Welt zusammen. Mit „virtualcommunication.works“ entsteht nun ein neues Unternehmen, das Teams dabei hilft, virtuell gut zusammenzuar beiten. Der erste Kunde war Brampton, die neuntgrößte Stadt Kanadas. Rund 6.500 Angestellte der Stadtverwaltung landeten von einem Tag auf den ande ren im Homeoffice. Holger Nauheimer und sein Netzwerk stellten innerhalb von fünf Tagen die „Brampton Learning Days“ auf die Beine: ein virtuelles Event mit Workshops und Podiumsdiskussi Umfrage. Die Deutschen maßen Mitte Mai der Arbeit im Homeoffice überraschenderweise nur eine geringe Bedeu- tung zu. Nur 19 Prozent sagten in einer aktuellen Umfrage (vom 12. Mai 2020) der Münchener Beratungsgesellschaft Kekst CNS, dass sie in Zukunft mehr von zu Hause arbei- ten wollten. 15 Prozent wollten dagegen unbedingt weniger von zu Hause arbeiten und rund 50 Prozent der Befragten erwarteten mittelfristig keine Arbeitsplatzveränderungen im Vergleich zu vor der Krise. In anderen Umfragen hat- ten die Deutschen eine viel größere Begeisterung für das Homeoffice zum Ausdruck gebracht. Die Angst vor einer Rezession ist im Mai klar angestiegen und die Sorge um die eigene Gesundheit geht zurück. 66 Prozent der Deutschen erwarten, dass die wirtschaftlichen Folgen mehr als ein Jahr andauern werden. Im April lag dieser Anteil noch bei 47 Prozent. 49 Prozent wollen eine grundsätzliche Veränderung des Wirtschaftslebens. Homeoffice doch nicht beliebt?
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==