Wirtschaft + Weiterbildung 6/2020
22 wirtschaft + weiterbildung 06_2020 titelthema viele Menschen, die davon träumen, auf einer großen Bühne zu stehen und an- deren zu sagen, wo es langgeht. Das ist ja grundsätzlich auch eine befriedigende und schöne Tätigkeit. Aber denen wird dann erzählt, wie groß ihr Umsatzpoten- zial ist und wie einzigartig sie sind. So geistert durch den Markt, dass die Hono- rare bei mindestens 3.500 Euro pro Auf- tritt liegen. Wenn unerfahrene Redner das hören, bekommen sie Dollarzeichen in den Augen und denken: Super, ich werde jetzt Speaker und reich. Das spricht doch alle Instinkte an. Viel Geld, die öffentli- che Anerkennung und Einfluss auf an- dere. Nur leider gibt es nicht so viele gute Redner. Das Mitteilungsbedürfnis ist halt wesentlich größer als das, was dann als Vortragssubstanz übrig bleibt. Also sind die Vermarkter der Speaker die Verursacher des Booms? Hey: Wenn jemand das Training oder die Vermittlung für Speaker gut vermarktet, ist das erst mal in Ordnung. Was mich stört, sind die extrem großen Verspre- chungen. Da wird vielen Leuten viel Geld abgenommen. Denn in der Realität treten die versprochenen Erfolge nur selten ein. Da kann man natürlich sagen, wer das bucht und nicht kritisch hinterfragt, ist entweder naiv oder blöd. Was ich aber anprangere, ist, wenn den Speakern in den Trainings beigebracht wird, wie sie den Aufbau ihrer Marke und ihre Ver- marktung mit Täuschen und billigen Tricks in einem juristischen Graubereich betreiben können. Davor warne ich. Wer Dinge behauptet, die nachweislich nicht haltbar sind, riskiert den Aufbau seiner Marke schon in einer frühen Phase. Und wenn er dann wirklich Erfolg hat, kommt das Ganze irgendwann heraus und fällt ihm auf die Füße. Zudem verursachen die ganze Lügen Stress, weil man sich stän- dig merken muss, wem man jetzt was erzählt hat und der Stress führt dazu, dass man keine guten Vorträge hält. Dazu kommt: Wem die behauptete Erfahrung oder das behauptete Wissen fehlt, der kann auch nicht gut darüber reden. Am besten spricht man über relevante, selbst gemachte Erfahrungen. Da braucht man dann auch kein Speaker-Training. Aber wenn es mit dem Erfolg nur so selten klappt, müsste sich das doch herumsprechen ... Hey: Der Andrang ist dennoch nach wie vor groß, weil viele an den Traum glau- ben, damit in kurzer Zeit mit wenig Auf- wand sehr viel Geld verdienen zu kön- nen. Letzten Endes bedient das unser Ego und der Bedarf danach ist riesig. Und ei- nige wenige schaffen es auch, viele aber nicht. Wenn ich meine eigene Biografie anschaue, würde ich sagen, ich arbeite seit 20 Jahren darauf hin, über Nacht be- rühmt zu werden. Wie oft wird denn ein Speaker überhaupt gebucht? Hey: Ein bekannter Redner-Vermarkter hat mir gesagt: Seines Wissens gibt es keine 20 Redner in Deutschland, die von dem Job hauptberuflich gut leben kön- Sie sind selbst Speaker und nehmen nun die Speaker-Szene in Ihrem Buch kritisch unter die Lupe. Wie passt das zusammen? Nils-Peter Hey: Ich würde mich selbst nicht als Speaker, sondern als Vortrags- redner bezeichnen. Ich habe viele Jahre als Dozent an der Bayerischen Akademie für Wirtschaftskommunikation gearbei- tet, bevor ich dann auch außerhalb der Akademie für Vorträge gebucht wurde und inzwischen ist das ein schönes Hobby für mich. Den Begriff Speaker nutze ich ausschließlich im Zusammen- hang mit dem Suchmaschinenmarketing, weil Kunden bei der Suche nach Rednern eben oft nach Speakern suchen. Aber Sie sind auch bei einer der großen Speaker-Agenturen gelistet. Hey: Rednervermarktung bedingt eben, dass man sich eine professionelle Infra- struktur zulegt und dafür kann man sich von einer Agentur vertreten lassen. Sie kümmert sich um die Abwicklung und generiert manchmal auch Aufträge. Dass in dem Portfolio auch Speaker vertreten sind, in deren Nachbarschaft ich mich nicht sehe, finde ich nicht gut. Das ist ein schmerzlicher Kompromiss. Warum gibt es eigentlich so viele Speaker? Hey: Da haben eben ein paar findige Leute ein Marktpotenzial gesehen. Es gibt „Ich will echtes Wissen hören, kein behauptetes Wissen“ INTERVIEW. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Marketing und Wirtschaftskommunikation ist es Nils-Peter Hey gewohnt, die behaupteten Kompetenzen von Experten zu überprüfen. In seinem neuen Buch kritisiert er fachkundig und für alle nachvollziehbar „mit wohlwollendem Misstrauen“ die Tricksereien in der Speaker-Szene. „Manchmal frage ich mich, ob einer nicht eher einen Therapeuten als eine Speaker-Ausbildung braucht.“
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