Wirtschaft + Weiterbildung 6/2020

titelthema 18 wirtschaft + weiterbildung 06_2020 04. Qualitätssiegel und Plätze in Bestenlisten kaufen 05. so tun, als wären Prominente „alte Kumpels“ 06. mit banalem Online-Coaching Zusatzgeschäfte aufbauen R Nils-Peter Hey, Gründer und Inhaber der Fischfell Strategieberatung, München, kennt die Speakers-Szene, in der er sich als Vortragsredner selbst seit Jahren be­ wegt. Nun nimmt er dieses Biotop in sei­ nem neuen Buch kritisch-satirisch unter die Lupe. „Ich schreibe für die Menschen, die nicht bereit sind, Lügen und künst­ liche Selbstüberhöhung als notwendiges Übel zu akzeptieren“, so Hey. Mit dem Buch wolle er seine Leser zu mündigen Konferenz- und Tagungsteil­ nehmern machen. Und nicht zuletzt sei das Buch auch für alle Vortragsredner geschrieben, die sich fragten, ob es so etwas wie eine „Speaker-Szene“ über­ haupt geben müsse und ob sie Teil davon sein wollten. Es gehe ihm nicht in den Kopf, warum das Faken von Erfolgen zur Methode werden müsse, betont Hey. Er bewundere alle Berater und Speaker, die sich ihren Expertenstatus ehrlich verdient hätten. Aber er verachte jeden, der sich durchs Leben lüge. Großtuerei schadet der ganzen Berufsgruppe Neben Hey als Herausgeber beleuch­ ten sechs (!) weitere Autoren den schil­ lernden Markt. Markus Reimer, promo­ vierter Philosoph und seit über zehn Jahren Keynote Speaker zu Themen wie Innovation, Agilität und Digitalisierung, nennt seinen Beitrag einen „Hilferuf“. Denn die Großtuerei schade dem Anse­ hen der ganzen Berufsgruppe. Reimer gegen Honorar gibt es dabei den Vortrag ohne Honorar aus Marketinggründen und um Folgeaufträge zu generieren. Reich­ lich bizarr wird es dann, wenn der Red­ ner bis zu 12.000 Euro dafür zahlt, dass er einen Vortrag halten kann. Kaschiert wird das dann manchmal als Marke­ tingaufwendung für die Veranstaltung. Dennoch könne sich auch das Modell für manchen Speaker lohnen, behauptet Kmenta. Allerdings könne das Image des Redners leiden. Was Kmenta nicht erwähnt (aber worun­ ter Speaker dem Vernehmen nach auch sehr leiden): So manche Redneragentur hat ihr Geschäft längst perfektioniert hat. Der Speaker zahlt nicht nur ein paar Tausend Euro dafür, dass er dort gelistet wird, er zahlt auch noch mal ein paar Tausend Euro, damit bei dem kostenlosen Auftritt auf einem Rednerevent ein pro­ fessionelles Video von ihm gedreht wird. Denn das braucht man, um sich besser vermarkten zu können. Auch Heinrich Kürzeder weiß, wie das Geschäft läuft. Schließlich hat er in 20 Jahren nach eigener Aussage knapp 10.000 Redner vermittelt. Als Gründer der Agentur „5 Sterne Redner“ erhalte er täglich Bewerbungen von Nachwuchsred­ nern, die sich leichtfertig als Top Spea­ ker bezeichneten. Dabei passe Angebot und Nachfrage oft nicht zusammen. So werde er derzeit überschwemmt mit An­ geboten zu Themen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Change Ma­ nagement. „Diese Angebote sind genauso sinnvoll, wie einen Eimer Sand an den Strand mitzubringen“, schreibt Kürzeder und betont, dass es keine Garantie für den „Durchbruch“ als Top Speaker und den damit verbundenen, vermeintlichen grenzenlosen Reichtum gebe, selbst wenn sieht es kritisch, wenn (bei unterbeschäf­ tigten Trainern und Beratern) oftmals an erster Stelle der Wunsch stehe, Speaker zu werden und man sich erst danach die Frage stelle, über was man überhaupt reden wolle. „Damit werden Speaker pro­ duziert, die über alles und nichts reden, aber ohne Substanz.“ Und wenn das Entertainment die Botschaft überflügele, dann handele es sich wohl eher um Co­ medy. Sanfte Kritik übt Reimer auch an Redner­ agenturen, die zwar den Eindruck eines seriösen Rednerangebots erweckten, doch nicht für Qualität bürgten. Der Kunde müsse daher der Selbstdarstellung eines Redners glauben. Sein Fazit: Die Szene der Keynote Speaker müsse sich neu erfinden und zwar auf der Basis von Qualität, Ehrlichkeit und gegenseitigem Respekt. Roman Kmenta, Spezialist für das Thema „Pricing“, setzt sich in seinem Buchbei­ trag mit den „unglaublichen Honoraren der Speaker“ auseinander. Professionelle Redner könne man immerhin schon ab 3.000 Euro buchen, die teuersten kosteten mehr als 10.000 Euro. Kmenta rechnet vor, warum ein Honorar von 4.000 Euro für einen einstündigen Vortrag eigentlich zu niedrig sei und gerade mal dem Stun­ denlohn eines Kfz-Spenglers entspreche (wenn man Reisezeiten und die Vor- und Nachbereitung sowie die Marketing­ kosten in die Kalkulation mit einbezieht). Kmenta erklärt auch die verschiedenen Geschäftsmodelle. Neben dem Vortrag „Es gibt überhaupt keine Garantie für einen Durchbruch als Top Speaker.“ Heinrich Kürzeder

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==