Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

personal- und organisationsentwicklung 32 wirtschaft + weiterbildung 10_2020 Kanning: Nein. Es ist nichts daran aus- zusetzen, wenn ein Studiengang mindes- tens 70 Prozent psychologische Module hat und man dazu noch etwas Betriebs- wirtschaft oder Arbeitsrecht anbietet, damit die Absolventen im Unternehmen besser zurechtkommen. Das halte ich durchaus für sinnvoll und das kann auch eine Stärke des Fachhochschulstudiums gegenüber dem Unistudium sein. Die Interdisziplinarität hat aber durchaus so ihre Tücken, beispielsweise wenn aus der BWL-Perspektive mitunter Dinge unter- richtet werden, die aus psychologischer Sicht empirisch falsch sind. So habe ich schon öfter mitbekommen, dass BWLer die Maslowsche Bedürfnispyramide als eine aktuelle Theorie lehren, die be- schreibt, wie der Mensch funktioniert. In der Psychologie weiß man seit Jahr- zehnten, dass die Theorie die Realität falsch abbildet. Es handelt sich um eine rein historische Theorie. Solche Probleme hätte man nicht, wenn man die Inhalte der Psychologie und der BWL im Studium klar voneinander abgrenzen würde. Das Psychologiestudium wird dann durch klassische BWL-Inhalte ergänzt. So gibt es auch keine peinlichen Widersprüche. Mindestens 70 Prozent Psychologie – ist das ein wichtiges Qualitätskriterium? Kanning: Ich habe natürlich keinen Beleg für die genaue Prozentzahl, aber ich würde es so vorschlagen. Warum sollte ich einen Studiengang sonst Wirt- schaftspsychologie nennen? Wenn die Psychologie – wie es bei manchen Stu- diengängen der Fall ist – sogar weniger als 50 Prozent ausmacht, dann ist es eben Betriebswirtschaft mit ein paar Psycholo- giemodulen. Das ist ja auch legitim. Nur sollte es dann nicht Wirtschaftspsycholo- gie heißen, damit man danach auch auf dem Arbeitsmarkt unterscheiden kann: Wer ist hier Psychologe und steht für eine bestimmte akademische Richtung und Qualität der Ausbildung? Und wer ist eher ein Wirtschaftswissenschaftler der zu- sätzlich Psychologie-Module belegt hat. Auf was sollte man bei der Auswahl noch achten? Kanning: Ein Großteil der Professoren und Dozenten sollten Psychologie oder Wirtschaftspsychologie studiert haben. Natürlich kann man sich den Lehrstoff auch als fachfremder Dozent anlesen und dann den Studenten vermitteln. Aber dann fehlt einfach ein tieferes Verständ- nis für die Materie. Das Studienfach der Dozenten ist für mich daher auch ein Qualitätshinweis für einen Studiengang. Schwierig wird es beim Praxisbezug. Das ist immer eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite möchte man einen hohen Praxisbezug haben, weil die Studierenden an der Fachhochschule in der Regel keine akademische Laufbahn anstreben, son- dern das Gelernte im Berufsalltag umset- zen möchten. Auf der anderen Seite gibt es Dozenten, die Methoden vermitteln, die sie selbst in der Praxis anwenden, die aber dennoch nachweislich nicht ziel- führend sind. Gerade im Personalwesen ist das ein grundlegendes Dilemma, vor allem wenn man an die Personalauswahl denkt. Da gibt es Personalchefs, die ihre Personalauswahl so schlecht betreiben, wie es kaum ein Drittsemester im Ba- chelor Wirtschaftspsychologie machen würde. Die sollten besser nicht an einer Fachhochschule lehren. Aber das ist von außen nur sehr schwer zu beurteilen und meist merkt man es erst im Studium: Hat man es mit einem Praktiker zu tun, der die Dinge kritisch sieht und reflektiert vorgeht oder gibt er nur seine Erfahrung und seine Praxis als das einzig Wahre weiter, obwohl die Praktiken nachweis- lich schlecht sind? Das ist dann manch- mal ziemlich gruselig. Welche Fächer und Inhalte sollte ein Master in Wirtschaftspsychologie denn unbedingt enthalten? Kanning: Dazu gehört natürlich die all- gemeine Psychologie, bei der es um grundlegende Themen geht: Wie lernt der Mensch? Was ist Emotion? Oder wie funktioniert Motivation? Ganz zentral ist die Sozialpsychologie mit Themen wie: Wie beeinflussen sich Menschen? Wel- che Bedeutung haben soziale Stereotype? Also grundlegende Dinge zum menschli- chen Verhalten, die relevant sind, wenn Menschen mit anderen Menschen zu tun haben. Und natürlich Diagnostik. Dazu gehören Fragen wie: Wie kann man eine valide Aussage über die Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Men- schen machen? Wie ist methodisch vor- zugehen bei der Leistungsbeurteilung, der Personalauswahl und der Evaluation? Sehr wichtig ist auch die Methodenlehre, damit man versteht, wie eine gute Evalu- ation einer Maßnahme aussieht und dass es nicht reicht, zehn Führungskräfte zu fragen, ob ihnen ein Seminar Spaß ge- macht hat. Auch Mathematik und Statistik gehören zu den zentralen Fächern. Psychologie ist eine empirische Disziplin, bei der man Daten erhebt, verarbeitet und auswertet. Die Mathematik ist zudem von hoher praktischer Bedeutung, damit ich bei- spielsweise im Unternehmen die Wirkung von Maßnahmen berechnen kann oder zumindest verstehe, was mein Service­ anbieter bei einer Mitarbeiterbefragung macht. Dann gibt es noch die Persönlich- keitspsychologie: Wie funktioniert Per- sönlichkeit? Inwieweit verändert sie sich? Warum ist es nicht sinnvoll, Menschen in vier Typen einzuteilen? Ein weiteres zen- trales Modul ist die Personalentwicklung. Denn eine wesentliche Aufgabe von Per- sonalmanagern ist es, die Mitarbeiter wei- terzuentwickeln. Das sind die Klassiker, die auf jeden Fall reingehören. Das wären schon mal mindestens sieben Module, die man allein mit solchen grundlegenden Dingen füllen müsste. Manche Master in Wirtschaftspsycholo- gie schließen mit einem Master of Sci- ence, andere mit einem Master of Arts ab. Was ist besser? Kanning: In der Psychologie geht es um die evidenzbasierte Praxis. Das heißt, die Absolventen sollten klar zwischen abge- sicherter Erkenntnis, begründeten Hypo- thesen und dem leider weit verbreiteten Unfug unterscheiden können. Das setzt eine wissenschaftlich geprägte Ausbil- dung voraus und die schließt üblicher- weise mit einem Master of Science ab. . R „Interdisziplinarität darf nicht dazu führen, dass wir multiprofessionelle Dilettanten ausbilden.“

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