Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

personal- und organisationsentwicklung 30 wirtschaft + weiterbildung 10_2020 chologie. Hier betreibt man ja auch keine Medizin, sondern Psychologie. Dies lässt sich auch historisch zurückverfolgen. Was wir heute Wirtschaftspsychologie nennen, heißt an den Universitäten klas- sischerweise Arbeits- und Organisations- psychologie. Das Fach gibt es seit Anfang der 90er Jahre bundesweit an allen Unis, die ein Psychologiestudium anbieten. Damals wurde es in die Rahmenstudien­ ordnung des Diplomstudiums für Psy- chologie aufgenommen und war fester Bestandteil des Studiums. Dabei konnte man sich in der Regel erst nach dem Vordiplom für Arbeits- und Organisati- onspsychologie als Vertiefungsfach der Psychologie entscheiden. Den ersten ei- genständigen Studiengang in Wirtschafts- psychologie gab es vor 20 Jahren an der Fachhochschule in Wernigerode im Harz. Heute stellen Wirtschaftswissenschaftler oder Hochschulen Wirtschaftspsycholo- gie mitunter als Disziplin der Wirtschafts- wissenschaften dar, weil die Wirtschafts- psychologie ein positives Image hat und viele Studienbewerber anzieht, davon möchte man profitieren. Früher gab es nur ein Diplom in Psycholo- gie, wofür man mindestens acht Semes- ter oder vier Jahre studieren musste. Heute bekommt man den Master in Wirtschaftspsychologie teils schon in drei Semestern. Ist das von der Qualifikation her überhaupt noch vergleichbar? Kanning: Ein Problem entsteht, wenn Masterstudiengänge keinen Bachelor in Wirtschaftspsychologie voraussetzen, sondern nur irgendeinen Bachelor. In diesem Fall haben die Studierenden nicht einmal die Chance, das zu lernen, was man in einem dreijährigen Bachelor in Wirtschaftspsychologie lernt, schon al- lein, weil die Zeit dafür nicht reicht. Da sitzen dann im ersten Semester Teilneh- mer, die völlig unterschiedliche Vorkennt- nisse haben. Wenn ich aus den Geistes- oder Sozialwissenschaften komme, die nicht empirisch arbeiten, verstehe ich den Hintergrund vieler Studien überhaupt nicht. Denn dazu benötige ich ein Grund- wissen der Mathematik und Psychologie. Das bedeutet, die Hochschulen müssen dann bei null anfangen, genauso wie im ersten Semester eines Bachelor-Studiums, und erst einmal erklären, was eine Kor- relation, was die Big Five oder Attribu- tion sind. Da bleibt dann natürlich keine Zeit mehr, um in die Tiefe zu gehen. Am Ende habe ich zwar einen Master in Wirt- schaftspsychologie, der vom akademi- schen Titel her vorgaukelt, höherwertiger als ein Bachelor in Wirtschaftspsycholo- gie zu sein. Das ist er aber nicht. Er liegt im Niveau wahrscheinlich sogar unter dem eines Bachelors. Das heißt: Wenn der Master wirklich höherwertig im Fach Wirtschaftspsychologie sein soll, muss ich zwingend einen Bachelor in Wirt- schaftspsychologie oder Psychologie vo- raussetzen, also einen konsekutiven Mas- ter anbieten. Nur dann kann ich auf dem Wissen des dreijährigen Studiums auf- bauen und noch ein Schippchen drauf- legen beziehungsweise mehr in die Tiefe gehen. Sonst wird der Master schnell zur Mogelpackung. Das sieht aber nicht jeder so. Für die Gesellschaft für angewandte Wirtschafts- psychologie, in der vor allem private Fachhochschulen vertreten sind, ist Die Zahl der Masterstudiengänge in Wirtschaftspsychologie steigt seit Jahren. Was versteht man eigentlich unter Wirtschaftspsychologie? Prof. Dr. Uwe Kanning: Wirtschaftspsy- chologie ist eine Disziplin der Psycho- logie, die sich mit dem Berufs- und Ar- beitsleben beschäftigt. Klassische The- men sind zum Beispiel Personalauswahl, Führung, Mitarbeitermotivation, Arbeits- zufriedenheit und manchmal auch Wer- bung und Marketing. Dabei greift man auch auf die Grundlagenfächer der Psy- chologie wie etwa Sozialpsychologie oder Persönlichkeitspsychologie zurück. Es geht darum, dass man Erkenntnisse und Methoden aus der Psychologie im beruf- lichen Feld anwendet und daraus einen praktischen Nutzen zieht. Studierende erfahren zum Beispiel, wie ein gutes Auswahlverfahren aussieht oder welche Inhalte eine Führungskraft in einem Füh- rungstraining lernen sollte. Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. Das heißt, wir orientieren uns an Forschungs- ergebnissen. Das ist der Markenkern der Wirtschaftspsychologie. In der Presse hieß es aber vor Kurzem, Wirtschaftspsychologie sei die am stärksten wachsende Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften ... Kanning: Das ist falsch. Allerdings glaube ich, dass dieses Missverständnis unter Wirtschaftswissenschaftlern durchaus verbreitet ist. Dass Wirtschaftspsycholo- gie keine Disziplin der Wirtschaftswis- senschaften ist, ergibt sich schon aus der Bezeichnung. Wirtschaftspsychologie ist eine Disziplin der Psychologie. Ebenso wie zum Beispiel die medizinische Psy- Wirtschaftspsychologie: Ein Master mit Tücken INTERVIEW. Berufsbegleitende Masterstudiengänge in Wirtschaftspsychologie sind gefragt. Doch ihre Inhalte sind äußerst unterschiedlich. Interessenten und Unternehmen sollten daher genau hinschauen, rät der Psychologieprofessor Uwe Kanning. Denn nicht selten ist ein Bachelor-Absolvent höher qualifiziert als ein Master.

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