Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

wirtschaft + weiterbildung 10_2020 23 Mehrwert: Es entsteht ein geteiltes Prob­ lembewusstsein und eine verbindende Motivation für die tatsächlich notwendi- gen Veränderungen. Wie läuft ein Resilienz-Check ab? Ein Resilienz-Check ist ein moderiertes Workshopformat und dauert etwa acht Stunden. Der Check kann entweder vor Ort in einem Tag oder in zwei virtuellen Etappen durchgeführt werden. Teilnehmende sind Vertreter der wichtigsten Perspek- tiven, die in der Kri- senbewältigung eine Rolle gespielt haben: Führungskräfte, Pro- duktionsmitarbeiter, Techniker, interne Fachabteilungen und auch Kunden. 1. In einer ersten Etappe werden die Ge- schehnisse gemeinsam und aus verschiedenen Perspektiven rekon- struiert. Es geht darum, Einzelerfahrungen zu verknüpfen und sie so als Fenster zum System zu nutzen. Dafür stützen wir uns auf die Methode der Musteranalyse. Kernstück dieses Vorgehens ist ein In- terviewkarussell. Rotierend erkunden die Teilnehmenden wertschätzend die wichtigsten Perspektiven und Beiträge: Wie haben wir gemeinsam Sinn aus der neuen, unerwarteten Situation gemacht? Wie sind wir zu Entscheidungen gekom- men? Wie haben wir uns offen für Neues gehalten und wechselseitig informiert. Das Ergebnis dieser ersten Etappe sind Erkenntnisse und Hypothesen über tief- erliegende Bewältigungsmuster in der Krise. Die wichtigsten Fragestellungen werden ausgewählt, um sie in der zwei- ten Etappe zu vertiefen und Handlungs- felder abzuleiten. 2. In der zweiten Etappe kommt das Stu- fenmodell ins Spiel. Es dient zunächst dazu, die gefundenen Muster einzuord- nen: Zu welcher Stufe gehört welches Muster? Was müssen wir abbauen? Was weiter ausbauen? Was neu entwickeln? Was sind die wichtigsten Druckpunkte, um unsere organisationale Resilienz nachhaltig und auf lange Sicht zu för- dern? Gemeinsam entsteht so ein prio- risierter Maßnahmenplan. 3. In einem abschließenden Schritt wird die gemeinsame Lernerfahrung ausge- wertet: Wie haben wir diese Auszeit für die Reflexion unserer Zusammenarbeit erlebt? Wie können wir diese Erfah- rungen in den Alltag integrieren? Dabei geht es natür- lich zum einen ganz ope- rativ darum, wie die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt und weiterver- folgt werden können. Es geht aber auch darum, zu überlegen, wie solche Lerner- fahrungen in Form von wiederkehrenden reflexiven Schleifen genutzt werden kön- nen, um die Resilienzfähigkeit des Sys- tems auf Dauer und unter sich ändernden Bedingungen fit zu halten. Dafür wird mit den Kulturdialogen ein erprobtes Verfahren vorgestellt, mit dem die konti- nuierliche Selbstbeobachtung geschäfts- kritischer Aspekte etabliert werden kann. Erfolgte das Lernen im Resilienz-Check noch reaktiv (also als Folge der Krise), geht es jetzt am Ende des Resilienz- Checks um die Frage, wie dieses Lernen proaktiv und kontinuierlich erfolgen kann: Wie schaffen wir in unserem Alltag immer wieder Stopppunkte, um unsere Resilienzfähigkeit in den Blick zu neh- men und zu trainieren? Wie stressen wir unser System regelmäßig durch Selbstbe- obachtung und sorgen so für selbstindu- zierte kleine Krisen, um frühzeitig zu ler- nen. So wird es wahrscheinlicher, beim nächsten unerwarteten Ereignis reflexhaft und aus dem Rückenmark heraus resili- ent handeln zu können. Zusammenfassung. Resilienzfähigkeit entsteht durch fortwährendes Üben, sodass kontraintuitives Handeln zum Reflex in der Krise wird. Der Resilienz- Check dient als ein erster Anstoß dieses kontinuierlichen, kollektiven Fitness- trainings. Damit unterscheidet sich der Resilienz-Check deutlich von Resilienz- Fragebögen oder von Expertenanalysen. Es geht um den Aufbau der Fähigkeit, die eigenen Formen des Organisierens und der Zusammenarbeit kollektiv zu ergründen und auf der Basis gesicherter Forschungserkenntnisse und der eigenen Lage zu bewerten. Im Zuge dieser Arbeit entsteht erfah- rungsgemäß auch die wichtige Verände- rungsmotivation: Immer wieder erleben wir, wie auch Skeptiker oder zunächst abwehrende und passive Teilnehmer im Sog der Erkenntnisse zu engagierten Mitgestaltern werden. Ein wichtiger Er- folgsfaktor für das Gelingen ist eine gute Moderation, die durch den Prozess führt und weit über eine reine Prozessmodera- tion hinausgeht. Eine wichtige Aufgabe der Moderierenden ist es zum einen, die notwendige offene, angstfreie und Neu- gier erzeugende Arbeitsatmosphäre her- zustellen – jenseits von Schnellschüssen oder Schuldzuweisungen. Darüber hinaus müssen die Moderie- renden versiert sein, die theoretischen Or- ganisationsprinzipien mithilfe von prak- tischen Beispielen zu übersetzen und die Teilnehmenden bei der Differenzierung der unterschiedlichen Qualitäten des Or- ganisierens zu unterstützen, die durch das Stufenmodell repräsentiert werden. Resilienz ist nicht etwas, das man hat, sondern etwas, das man tut. Deshalb ist es ungemein wichtig, die Lernfähigkeit in der Organisation als kontinuierlichen Prozess zu verankern. Aus diesem Grund sollte die Entwicklung der Resilienzfähig- keit auch von innen heraus geschehen, aufgrund einer bewussten Entscheidung und mit eigenen Ressourcen. Annette Gebauer, Stefan Günther

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