Wirtschaft und Weiterbildung 10/2020

titelthema 22 wirtschaft + weiterbildung 10_2020 Musteranalyse ein fünfstufiges Modell bewährt. Das Fünf-Stufen-Modell (siehe auch: Annette Gebauer „Kollektive Acht- samkeit organisieren“, Schäffer-Poeschel, 2017) beschreibt unterschiedliche Qua- litäten im Umgang mit Unsicherheit und Risiken. Mithilfe des Stufenmodells können bestimmte Themen, die für ein Unternehmen besonders erfolgskritisch sind, unter die Lupe genommen werden. Für einige Unternehmen sind das Sicher- heit, Compliance, Prävention, Qualität oder Risikomanagement. Andere nut- zen die fünf Stufen für die Entwicklung ihrer organisationalen Lernfähigkeit oder Innovation. Das Modell wurde von uns in vielen Großorganisationen erfolgreich zur systematischen Selbsteinschätzung und zur nachhaltigen Weiterentwicklung dieser Leistungsfelder eingeführt. Somit dient das Stufenmodell als „Brille“ oder Qualitätsmaßstab, um eigene Praktiken zu beobachten. Die fünf Stufen als ein Qualitätsmaßstab Die fünf Stufen beschreiben typische kollektive Grundmuster im Umgang mit Unsicherheit, Komplexität und Risiken. Bei jeder Stufe geht es um die Frage, wie in der Organisation mit Abweichungen oder frühen Signalen umgegangen wird. Es geht um enttäuschte Erwartungen. Die Stufen unterscheiden sich darin, wie irritationsbereit ein Team sich in seinen Interaktionen verhält beziehungsweise wie die Entscheidungsstrukturen einer Organisation gebaut sind. Stufe 1 beschreibt ein gleichgültiges Ver- halten. Im Fall von Covid 19 werden zum Beispiel erste Meldungen über das Virus durch das Management bagatellisiert oder erste Infektionen durch Beteiligte bewusst nicht gemeldet, weil man sich den Ärger ersparen möchte. Für Stufe 2 (reaktiv) ist charakteristisch, dass erst bei größeren Problemen oder bei hohem Druck reagiert wird und es schwer fällt, in den Krisenmodus umzuschalten. Auf Stufe 3 (kalkulativ) beobachtet man ein Regelsystem, dass sich allerdings nur auf erwartbare Risiken konzentriert. Während auf Stufe 3 versucht wird, für jede Abweichung eine neue Regel zu fin- den, sind die Praktiken auf den Stufen 4 (proaktiv) und 5 (wertschöpfend) nach den Prinzipien organisationaler Resili- enz gebaut. Charakteristisch ist für beide Stufen eine aktive Suche von Irritationen der Außenwelt im Hier und Jetzt: Was sind neue, relevante Informationen und was bedeutet das genau für die nächsten Schritte? Abbildung 1 auf Seite 21 illustriert einige beobachtbare Verhaltensmuster zum Thema Resilienz für jede der fünf Stufen. Zwischen den Stufen 3 und 4 liegt die so- genannte „Glasdecke“: Sie symbolisiert eine unsichtbare Hürde und markiert den Unterschied des jeweils und oft unbe- wusst zugrunde gelegten Organisations- und Steuerungsverständnisses. Die kollektiven Muster auf den unteren drei Stufen legen ein eher mechanisches Organisationsverständnis zugrunde. Re­ silienz fördernde Maßnahmen konzen- trieren sich dann darauf, erwartbare Er- eignisse zu kontrollieren. Diese erschei- nen als punktuelle Störungen, vor denen der ansonsten reibungslos laufende Nor- malzustand geschützt werden muss. Or- ganisationen erscheinen im Lichte dieser Logik zwar als komplizierte und schwer durchschaubare, aber letztendlich doch berechenbare Systeme. Das Ziel ist es, „endlich“ alle Variablen in den Griff zu bekommen. Die Logik findet ihren Höhepunkt in der im Stufenmodell beschriebenen Stufe 3 (kalkulativ). Auf dieser Stufe entsteht oft Überregulierung. Für alle möglichen oder neuen Abweichungen werden neue Re- geln ersonnen. Es entsteht ein starres an- stelle eines anpassungsfähigen Systems. Mitarbeitende verstehen die Regeln nicht mehr, finden sie unsinnig oder erledigen ihren Dienst blind nach Vorschrift. Die mechanische Logik stößt an eine unsicht- bare Barriere. Oberhalb der Glasdecke kommt ein anderes Organisationspara- digma zur Anwendung: Die Organisation wird als ein lebendes, „eigen-sinniges“, nicht linear steuerbares System gesehen. Statt Kompliziertheit zu unterstellen, wird hier mit Komplexität gerechnet. In den Stufen vier und fünf richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Gestaltung von Routinen, Formaten und Prozessen, die das Bearbeiten von Unsicherheit und Unerwartetem ermöglichen. Auch wenn dieses Organisationsverständnis in den Diskursen rund um das Thema Agilität weit verbreitet ist – wenn es um Fragen der Sicherheit oder Robustheit von Sys- temen geht, reibt sich dieses Verständnis von Organisation mit den bestehenden persönlichen mentalen Modellen oder kollektiv geteilten Narrativen. Die so erzeugten Irritationen sind oft ein wertvoller Ansatzpunkt, implizite men- tale Modelle explizit und damit bearbeit­ bar zu machen. Die Herausforderung auf den Stufen vier und fünf besteht, wie bereits beschrieben, dabei nicht darin, einseitig auf das bisherige Regelsystem zu verzichten. Vielmehr muss eine intelli- gente Balance zwischen der Abwehr aku- ter Bedrohung und einer flexiblen Anpas- sung gefunden werden. Ersteres entsteht mithilfe von bestehendem Wissen und Prozeduren. Letzteres durch die Anerken- nung des eigenen Nichtwissens. Was leistet der Resilienz- Check? Das strukturierte Vorgehen und die in- haltlichen Leitdimensionen des Resili- enz-Checks ermöglichen eine fundierte Reflexion der unternehmensinternen Zusammenarbeit in der Krise. Auch mit geringem Zeiteinsatz entdecken die Teil- nehmenden tieferliegende und oft über- raschende Muster und Zusammenhänge. Das Stufenmodell bietet die notwendige Orientierung und regt Diskussionen an, wie die fünf Prinzipien in der Praxis aus- sehen können: • Wie sind wir mit dem Unerwarteten umgegangen? • Wie können wir uns künftig resilienter organisieren? Während andere Analyseverfahren eine Vielzahl von möglicherweise relevanten Stellhebeln im Unternehmen aufzeigen, verfolgt der Resilienz-Check ein anderes Ziel. Er etabliert mit dem Fünf-Stufen- Modell eine praxisnahe und dennoch wis- senschaftlich fundierte Referenz, die die Entwicklung von Resilienzfähigkeit im Sinne eines angemessenen Steuerungs- und Organisationsverständnisses anregt. All dies ist ein hilfreiches Rüstzeug, um mögliche Aspekte kollektiv zu bearbei- ten. Neben einer fundierten, inhaltlichen Auseinandersetzung schafft die gemein- same Selbsterkundung einen weiteren R

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